Das Schreiben in den Zeiten von Corona
Ein multimediales Tage- und Skizzenbuch von Heidelberger Autorinnen und Autoren
Mit einem Vorwort von Veronika Haas | Literaturherbst Heidelberg
„…wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen“? – Fragen gibt es viele in diesen Tagen, doch Kunst kennt keinen Lockdown, sie drängt seit jeher voran, insbesondere in gesellschaftlichen Krisen. Für Franz Kafka war das Schreiben eine „Form des Gebets“, Jean Paul war sich sicher: „Solange ein Mensch ein Buch schreibt, kann er nicht unglücklich sein“. – Das Schreiben ist wie das Leben: wunderbar und schmerzhaft zugleich, Schreiben ist Trost und Anklage, ein fortwährendes Infragestellen, Dichtung und Wahrheit, Marter und Befreiung, Bedrängnis und Selbstvergewisserung. Ebenso ergeht es uns beim Lesen. „Der Roman“, sagte der Dichter Novalis, ist nichts anderes als „ein Leben als Buch“. Leben, Schreiben, Lesen sind nach der romantischen „Lebenskunstlehre“, wie sie Anfang des 19. Jahrhunderts propagiert wurde, ein und dasselbe.
„Das Schreiben in den Zeiten von Corona“ (frei nach dem Romantitel von Gabriel Garcia Márquez) ist – wie auch das Leben in diesen denkwürdigen Tagen – ein anderes. Welche Möglichkeiten hat Sprache, welche Räume schaffen Wörter, insbesondere während der so genannten Ausgangsbeschränkung? – Dieses multimediale Tage- und Skizzenbuch ist eine Einladung an Autorinnen und Autoren aus Heidelberg und der Rhein-Neckar-Region, sich solchen und anderen Fragen schreibend anzunähern, zugleich ist es eine Einladung an alle Leser zu verweilen und – wann immer man möchte – für sich mit dem Geschriebenen in einen Dialog zu treten.
Dabei ist das Tage- und Skizzenbuch bewusst offen gehalten: Es kennt keine Genregrenzen und sucht die Vielstimmigkeit. Es ist ein Blankobuch für leise und laute Worte, Poesie und Prosa, gedankliche Streifzüge und auch für Bruchstückhaftes. Es ist eine Bühne, auf der in Ton und Video gelesen, gesprochen, nachgedacht werden darf. Ein Raum, in dem Autoren, Künstler, Leser und Besucher – Corona zum Trotz – zusammenfinden mögen und Gemeinschaft wieder möglich ist.
Aus diesem Tage- und Skizzenbuch sollen letztlich Wort-, Bilder- und Klangwelten entstehen, die nach und nach über die zeitlichen und thematischen Grenzen der Corona-Pandemie hinauswachsen, ein digitaler Schreib-, Lese- und Hörraum für Literatur und Kunst in der Rhein-Neckar-Region.
Mit Lyrik, Prosa, Essays, „Poesie ohne Worte“, Poetryfilmen, visueller Wortkunst, Audio- und Video-Lesungen von
Astrid Arndt, Marlene Bach, Bella Bender, Peter Bösselmann, Adriana Carcu, Matthias Delbrück, Wiebke Hartmann, Rolf Krane, Gerhild Michel, Marion Tauschwitz, Marcus Schiltenwolf, Sofie Steinfest, Dorina Marlen Heller, Hannelore Gerent, Heide-Marie Lauterer, Barbara Imgrund, Teresa Kaya, Gertrud Edelmann, Ariana Nero, Anton Ottmann, Claudia Schmid, belmonte, Olga Kovalenko, Rebecca Netzel, Elisabeth Singh-Noack, Michael Benz, Gerhard Drokur, Wilhelm Dreischulte, Elisabeth Pfeiffer, Sonja Viola Senghaus, Andrea Willig und Yokosandra
August 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Mit einem literarischen Wunderhorn schließen wir vorerst unser „Multimediales Tage- und Skizzenbuch von Heidelberger Autoren und Künstlern“, das uns die vielen vergangenen Wochen begleitet und auf solch vielfältige Weise bereichert hat.
Die Autorinnen Sonja Viola Senghaus, Gerhild Michel, Elisabeth Singh-Noack und Adriana Carcu geben uns Gedichte voller Kraft und Zuversicht mit auf den Weg, die uns bisweilen wieder den Zauber und die Leichtigkeit des Seins spüren lassen. Marlene Bach und Rolf Krane führen uns mit ihrer Kurzprosa unmittelbar hinein in den Alltag mit Corona, sei es der Kellner ohne Mund- und Nasenschutz oder der Besuch im Pflegeheim, der einen zutiefst berührt, während vor den Türen Verschwörungstheorien immer mehr Gehör finden. Anton Ottmann lenkt den lyrischen Blick auf das, was während der Corona-Pandemie lediglich als Randnotiz wahrgenommen wird, und Matthias Delbrück stellt in seinem Gedicht eine für uns alle berechtigte Frage.
Der Flug
Schwerelos der Flug
trotz befiederter Sicht
die Hoffnung
im Schnabel
© Sonja Viola Senghaus
Sonja Viola Senghaus, Lyrikerin, lebt und arbeitet in Speyer.
Publikationen: Gedichtbände „Licht-Flügel-Schatten“ (Übersetzung auch ins Rumänische), „Sprachruder“, „Nachhall“, „Zwischen Tag und Traum“ und zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften.
Auszeichnungen: Mannheimer Literaturpreis 2016/17 (1. Preis für Lyrik zum Thema Flucht.Punkt.Stadt“), Teilnahme am Landesprogramm Rheinland-Pfalz „Jedem Kind seine Kunst“.
Mitgliedschaften: Schriftstellerverband in Ver.di Rheinland-Pfalz, Literarischer Verein der Pfalz, Leiterin der Sektion Speyer, Autorengruppe Spira, GEDOK – Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer Heidelberg e.V., Segeberger Kreis – Gesellschaft für Kreatives Schreiben e.V.
Elisabeth Singh-Noack ist in vielen lyrischen Gattungen beheimatet, u.a. schreibt sie Haikus. Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Weg auch nach Deutschland fand. Rainer Maria Rilke sah in dieser weltweit kürzesten Gedichtform „einen neuen und wertvollen Bewußtseinsinhalt“. Haikus zu schreiben, ist dichterisch anspruchsvoll. Traditionell bestehen sie aus drei Zeilen: Die 1. und 3. Zeile haben fünf, die 2. hat sieben Silben. Diese Kürze verlangt eine komprimierte Sprachdichte, zugleich sollen Haikus vielschichtige, antithetische oder symbolische Aussage enthalten. Die Texte sollen sich im Erleben des Lesers vervollständigen.
Nur ein Atemzug
trennt das Leben von dem Tod
Sicht aus der Distanz
Zeit und Zustände
aus tröstlichem Blickwinkel
vorübergehend
Hinter der Maske
das Lächeln in der Stimme
Hören wird wichtig
Elisabeth Singh-Noack, 1961 in Hamburg geboren, schreibt seit ihrem 16. Lebensjahr Gedichte, später auch Kurzprosa, Szenen sowie Haikus. Sie studierte Indologie, lebte und wirkte lange in Indien, Portugal und an vielen Orten Deutschlands zwischen Alster und Chiemsee, hat drei Kinder in die Lebenskunst eingeführt und unterstützt Menschen in schwierigen Lebensphasen. Seit 2005 wohnt sie vorwiegend in Dossenheim und ist Mitglied der Literatur-Offensive Heidelberg. Ihre Texte erscheinen in Anthologien, in Hörspiel, Internet und bei anderen Projekten. Am liebsten berauscht sie sich an Natur, Dichtung und Klang. Im September 2020 wird im Lothar Seidler Verlag ein Buch mit Lyrik erscheinen. Lesen Sie ein weiteres Gedicht der Autorin aus der Reihe Poesie unterwegs
Im Vorübergehen
Unter Blumen begraben wird es uns gelingen
Menschen aus Sand, Menschen der Sonne
den Himmel von Wolken zu befreien
und uns diese umzuschnallen.
Uns in glänzende Spiegel zu stellen
und auf die Welt hinabzusehen,
uns unser Schicksal zu holen
und es gleich einem Buch zu falten.
Den Flaschenboden zu zerbrechen
und in ein Kaleidoskop zu verwandeln,
in dem alle Mythengestalten sich drehen,
sicher und ohne ein Ziel.
Von Regenbögen erdrückt wird es uns gelingen
ins Karussell wandelnder Schatten zu springen
und ohne Bedauern die endlose Hochzeit
unser dämmergrauen Leben zu feiern.
© Adriana Carcu
Adriana Carcu ist eine internationale Journalistin und Autorin, kuratiert Kunstaustellungen mit deutschen und rumänischen Künstlern und unterrichtet seit 2007 Englisch und Rumänisch an der Volkshochschule Heidelberg. Sie wurde im rumänischen Temeschwar geboren und lebt seit 1988 in Heidelberg. Sie hat englische Literatur und Zivilisation studiert und mit einer Arbeit über „Human Nature and Human Condition in the Works of Henry James” abgeschlossen. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter Interview des Jahres mit Künstler Valeriu Sepi (Die Geschichte unserer Tage). Eine sentimentale Chronik war als Bestes Buch des Jahres (Gala für herausragende Verlagsneuerscheinungen) nominiert. Adriana Carcu ist Mitglied u.a. im Rumänischen Schriftsteller Verein, Exil P.E.N international, GEDOK Heidelberg. Zuletzt erschienen von ihr Golden (Pop-Epik), aus dem auch das Gedicht Im Vorübergehen stammt, und Das Lied aus dem Norden. Zur Homepage und Facebook-Seite der Autorin.
Virus spezial
Eine Corona-Geschichte
Der Pfleger hatte mich gewarnt.
Heute ist sie schlecht drauf. Saya hat diese Woche frei.
Ich ziehe meinen regenfeuchten Mantel aus und hänge ihn an den Haken neben der Tür.
Hallo, Martha.
Sie liegt im Bett. An den Tagen, an denen es ihr besonders schlecht geht, bleibt sie oft im Bett. Als ob ihr verwirrter Kopf ein krankes Bein wäre, das man schonen muss. Ihre Augen sind noch so wasserblau wie früher, ihr Blick nennt mich eine Feindin. Ich bemühe mich, laut und deutlich zu sprechen, damit sie mich trotz Maske verstehen kann.
Ich soll dir schöne Grüße von Jens bestellen.
Martha sieht mich an, als hätte ich eine Unverschämtheit von mir gegeben.
Er kommt bald mal wieder mit, aber heute muss er arbeiten.
Bla, bla, sagt Martha.
Geht es dir nicht gut?
Die wasserblauen Augen mustern mich, als würden sie in meinem halb verdeckten Gesicht nach einem Hinweis suchen, zu wem es gehört. Die Maske macht es nicht einfacher, aber Martha beklagt sich nie. Wahrscheinlich ist für sie das hellblaue Rechteck ein Teil von mir wie Kinn und Augenbrauen.
Ihre Mundwinkel verziehen sich nach unten. Sie spuckt es regelrecht aus:
Saya ist schuld.
Saya schafft es, Martha zu beruhigen, wenn sie glaubt, dass ihr wieder etwas gestohlen wurde, Martha zurückzubringen, wenn sie hinausläuft und nach Hause will, sie zu trösten, wenn sie für einen kurzen schmerzvollen Moment erkennt, dass es dieses zu Hause nicht mehr gibt. Saya ist ihre Herzens-Pflegerin.
Marthas weißer Haarschopf dreht sich zur Wand. Wellig und voll, wie der eines jungen Mädchens. Früher habe ich Mutter zu ihr gesagt. Aber das fällt mir schwer, weil ich für sie meistens nicht mehr ihre Tochter bin.
Möchtest du lieber schlafen?
Saya war es. Deshalb musste sie fliehen, sagt Martha.
Was hat sie denn angestellt?
Martha dreht sich wieder um und macht eine Kopfbewegung zum Fernseher, der auf der kleinen Anrichte steht.
Er hat es gesagt. Die Chinesen waren es.
Wer hat was gesagt?
Der Hässliche mit der schönen Frau. Die Gelben machen uns alle krank.
Donald Trump. Corona. Chinese Virus. Ich vermute mal, dass es darum geht.
Saya kommt von den Philippinen, nicht aus China. Sie ist nicht hier, weil sie diese Woche frei hat.
Auf dem kleinen Nachttisch steht der Plastikbecher mit dem Trinkaufsatz.
Willst du etwas trinken?
Martha setzt sich auf, ihr Gesicht das pure Misstrauen.
Dann warst du das.
Nein bestimmt nicht. Ich habe damit nichts zu tun.
Doch. Du warst es. Wo ist Saya?
Saya hat frei. Sie kommt nächste Woche wieder.
Alle sind sie geflohen. Haben sich vom Acker gemacht, die Drecksäcke.
Über Wochen hat das Virus uns davon abgehalten zu kommen. Für Martha unerklärlich. Ihr Verstand weiß nichts mehr davon, und doch hat sie es uns noch nicht verziehen.
Sie haben die Brille gestohlen.
Die Brille liegt auf der Anrichte, Martha hat sie nicht gesehen. Martha liebt einfache Erklärungen.
Schau, deine Brille ist hier. Willst du sie haben?
Du lügst. Das ist nicht meine.
Es klopft. Der Pfleger kommt herein. „Florian“steht auf dem blauen Schild an seinem Kittel. Ich kenne Florian nicht. Er muss neu sein.
Ich beziehe nur schnell das Bett neu.
Martha presst die Lippen zusammen, so fest, dass sich um ihren Mund ein weißer Kranz bildet. Florian ist nicht Saya. Dafür kann er nichts, aber Martha ist das egal. Ich nutze meine Chance auf eine Pause.
Ich geh solange auf den Flur, dann störe ich nicht.
Draußen riecht es nach Zitrone und Desinfektionsmitteln. So intensiv, dass es sogar durch den Zellstoff dringt. Der Linoleumboden glänzt, als würde er den ganzen Tag poliert. Ich schaue in die Whatsapp-Nachrichten und bereue es sofort. Gleich zwei von diesen Youtube-Videos, mit denen ein alter Freund seit Beginn der Corona-Pandemie meint, mich aufklären zu müssen. Oder vielleicht doch etwas Neues?
Ein Mann verkündet mit gewichtiger Stimme, dass das Tragen von Masken eine Veränderung der Gehirnstrukturen in Gang setze, und man daher das Interesse am Gegenüber verliere. Ein anderer erklärt mir, warum das Corona-Virus eine perfide PR-Strategie von Bill Gates ist.
Ich falle jedes Mal darauf herein, schaue mir die Sachen an. Zumindest die ersten Minuten. Schließlich kommen sie von einem Freund. Von einem, von dem ich inzwischen weiß, wie wenig ich von ihm wusste. Aber er ist mir wichtig. Meine zaghaften Hinweise, dass mich diese Art von Aufklärung eigentlich nicht interessiert, hat er mit dem Argument zunichte gemacht, die Krise verpflichte dazu, sich umfassend zu informieren. Also übe ich mich in höflichem Nicht-Reagieren und stecke das Handy weg.
Als ich zurück ins Zimmer komme, sitzt Martha aufrecht im frisch bezogenen Bett. Sobald ich auf dem Stuhl davor Platz genommen habe, beugt sie sich zu mir. Ihre Finger umschließen mein Handgelenk, als wollte sie mich am Weglaufen hindern.
Du warst es.
Was denn?
Das mit dem, was alle kriegen.
Auf das Gefühl soll man eingehen, so haben sie es uns im Kurs für Angehörige beigebracht. Nicht auf den Inhalt. Aber manchmal geht es nicht.
Meinst du Corona? Das Virus ist vermutlich auf die Menschen übergegangen, weil sie Tiere gegessen haben, die es hatten. Ich kann da nichts für.
Papperlapapp! Du warst es. Du warst mal gelb.
Nein, ich war nie gelb. Und ich bin auch keine Chinesin, falls du das meinst.
Doch. Marthas Augen funkeln in ihrem blassen Gesicht. Ich habe es gesehen. Da waren ganz viele. Ein grüner Drache. Und eine Prinzessin. Du warst das mit der Krankheit.
Ablenkung. Meine Rettung an schlechten Tagen. Manchmal funktioniert es.
Sollen wir ein bisschen Fernsehen?
Wir schauen fast eine halbe Stunde. Für Martha eine lange Zeit. Im Fernsehen läuft eine Kindersendung. Ausflug auf den Bauernhof. Martha lacht über das Schwein. Danach kommen Nachrichten. Corona. Demonstrationen. Donald Trump auf der Gangway eines Flugzeugs, neben sich Melania.
Da ist der mit der Frau.
Das ist Donald Trump.
Den lasse ich nicht rein, sagt Martha. Der weiß, dass du es warst.
Ich gebe auf. Es ist besser für uns beide.
Danke, Martha. Das ist sehr nett von dir.
Für einen friedlich nahen Moment lässt sie zu, dass ich ihre Hand nehme. Dann dreht sie sich von mir weg und zieht die Decke bis über die Ohren. Nur die silberweißen Haare schauen heraus. Mein Handy gibt den Ton von sich, der mir sagt, dass ich wieder eine neue Nachricht bekommen habe.
Wenig später sitze ich auf der kleinen Bank an der Haltestelle und warte auf den Bus. Eine Frau mit einem Kind an der Hand geht an mir vorbei.
Ich erinnere mich: Ich war einmal gelb. Vor langer Zeit. Anfang der siebziger Jahre. Kostümiert als Chinesin, mit einer gelben Jacke, die geheimnisvolle schwarze Schriftzeichen auf dem Rücken hatte, einem gelb gefärbten Stroh-Hut und einem schwarzen Zopf. Mein kleiner Bruder war ein grüner Drache und meine Cousine eine rosa Tüll-Prinzessin. Bonner Karneval. Martha war mit uns dort gewesen. Danach hatte ich die Windpocken bekommen.
Der Bus kommt, ich ziehe meine Maske wieder auf. Als ich einen Sitzplatz ergattert habe, hole ich unvorsichtigerweise mein Handy hervor. Ein neues Video, das mein Freud mir schickt. Ein anderer Mann. Der Inhalt ähnlich. Menschen, die eine Maske tragen, sind obrigkeitshörig und haben ihren Autoritätskonflikt nicht gelöst.
Diesmal antworte ich: Habe unglaubliche Neuigkeiten! Weiß aus sicherer geheimer Quelle, dass an allem eine Person schuld ist, die sich Anfang der 70er zum Karneval in Bonn aufgehalten hat. Virus war so lange in Karnevalsschminke konserviert. Alaaf! Helau! Kamelle!
Der Freund antwortet nicht. Nun hat unsere Freundschaft wohl Corona.
© Marlene Bach
Marlene Bach wurde 1961 in Rheydt geboren und wuchs nahe der niederländischen Grenze auf. 1997 zog die promovierte Psychologin nach Heidelberg. Hier begann sie, Kriminalromane und Kurzgeschichten zu schreiben. Für eine dieser Geschichten erhielt sie den Walter-Kempowski-Literaturpreis (2011). Unter dem Titel Samtschwarz ist im März ihr siebter Kriminalroman erschienen. Lesen Sie die Pressestimmen zu ihrem neuen Roman und hören Sie eine Leseprobe. Zur Homepage der Autorin
Abendlied meiner Amsel
Ich lege mein Buch zur Seite
und öffne das Fenster
auf dem Dach gegenüber
sitzt eine Amsel
als hätte sie auf mich gewartet
beginnt sie ihr Abendlied
Häuser und Straßen
werden klein und kleiner
und der Himmel
noch einmal hell und leicht
© Gerhild Michel
Gerhild Michel
geboren in Berlin, aufgewachsen in Heidelberg. Studium der Philosophie und Theaterwissenschaft in Wien, mehrjährige Theaterarbeit an verschiedenen deutschen Bühnen. Anschließend Studium der Pädagogik, seit 1975 im Lehramt in Heidelberg. Lehraufträge an der Päd. Hochschule Heidelberg mit dem Thema „Schüler schreiben Gedichte“. Lyrik-Veröffentlichungen in Zeitschriften, Anthologien und Gedichtbänden. Mitglied der GEDOK Heidelberg.
Zuletzt erschienen: Alles in den Augen. Gedichte (Edition Exemplum)
Zur Homepage der Autorin
Foto © Gerhild Michel
Déjà-Vu
Ein Kellner kommt an meinen Tisch, um die Bestellung aufzunehmen. Meine Augen wandern an ihm hoch bis in sein Gesicht und überqueren seinen Mund-Nasen-Schutz. Der rote Teppich, der seinen Mund verdeckt, führt mich direkt zu seiner Nase, die ich unwillkürlich anstarren muss. Dabei ist sie nicht ungewöhnlich, weder besonders groß noch auffallend geformt. Dennoch bleiben meine Augen daran hängen. Bis zu seinen Augen kommen sie nicht mehr.
In den vergangenen Wochen habe ich die Nase als Mittelpunkt des Gesichtes neu entdeckt. Gewöhnlich schaue ich meinem Gegenüber in die Augen, manchmal auch auf den Mund, wenn es zu laut ist. Dann versuche ich seine Lippen zu lesen. Wird die Sicht darauf verwehrt, hilft die unbedeckte Nase nicht weiter. Mit dem Lesen der Nasenflügel war ich bisher nicht erfolgreich. Ohne einen Mund-Nasen-Schutz ist die Nase nur ein Orientierungspunkt im Gesicht. Darüber die Augen. Darunter der Mund. Auf einer weißen Leinwand aber wird die freigelegte Nase zum Zentrum des Gesichtes, die Blicke automatisch anzieht.
Bald darauf kommt eine Bedienung an meinen Tisch, ebenfalls oben ohne. Sie beugt sich über den Erdbeerbecher und stellt ihn vor mir ab. Mit Genuss verspeise ich Eis und Erdbeeren. Ich verdränge jeden Gedanken an tropfende Nasen, kalte Schlachthöfe und Erntehelfer aus Osteuropa.
Kondome schützen vor HIV und senken das Risiko einer Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten. Würden Sie einem Gummi die Spitze abschneiden, bevor Sie ihn benutzen?
Auf dem Weg nach Hause habe ich ein Déjà-vu. Ich durchquere eine verkehrsberuhigte Siedlung und begegne einem Vater mit drei Kindern, die auf der Straße Federball spielen. Sie sprechen italienisch. Als ich sie das letzte Mal dort antraf, wurden einige Tage später die Grenzen geschlossen.
© Rolf Krane
Foto © Michael Benz
Rolf Krane ist ein unabhängiger Reise-Fotograf und Autor des Buches Der Reisende Rahmen. Foto-Reportagen seiner Heilreisen veröffentlicht er auf der Website www.heil.reisen.
Recyclinghof
Abbeizmittel, Asche, bedrucktes Papier,
Dachsparren, Erdaushub, Fallobst,
Frittierfett, Grablichter, Hohlglas,
Lösemittel, Ofenrohre, Öltank,
Pinselreiniger, Raumspray, Sägemehl,
Tierkadaver, Unterbodenschutz, Weihnachtsbaum,
Ytongsteine, Zimmerpflanzen. Für alles ist gesorgt.
Bloß wo werden unsere Sorgen entsorgt?
Und zu was werden sie dann recycelt?
© Matthias Delbrück
Matthias Delbrück
1966 in Hannover geboren, seit 1986 in Heidelberg bzw. Dossenheim, promovierter (Umwelt-)Physiker. Er arbeitet seit vielen Jahren als Lektor im Sachbuchbereich, seit 2007 im eigenen Redaktionsbüro, wo er auch übersetzt und journalistische Texte verfasst. Kreatives Schreiben seit 2012, Kurse u. a. bei Karina Odenthal; er veröffentlichte mehrere Kurzgeschichten und Lyrik. „Lyrik“, sagt er, „ist etwas Wundervolles, aber nicht leicht zu fassen.“ | © Foto (privat)
Der Baum
Du Baum, mein Lebensbegleiter,
Schattenspender, Wohnung der Vögel,
gibst Nahrung für Tier und Mensch,
reinigst die Luft, die wir atmen,
hütest Wasser, den Saft des Lebens.
Deine Blüten erfreuen unsere Augen,
dein Duft benebelt unsre Sinne,
tot, dienst du noch dem Menschen,
wirst zu Brennholz, Papier und Möbel,
zur Bank im Park, zur Statue in der Kirche.
Du Symbol der Kraft und des Lebens,
der Vergänglichkeit und der Wiedergeburt,
beschäftigst Maler und Dichter,
wirst besungen und verehrt,
geschmückt, geschunden, missbraucht,
missachtet, geschlachtet und zerstört.
Du erträgst das Kind, das auf dir klettert,
die Liebenden, die dich tätowieren,
auch den Gärtner, der dich stutzt.
Hitze und Kälte, Trockenheit und Schnee,
Sturm und Gewitter nimmst du hin.
Doch nun rückt des Menschen Hybris dir zu Leibe,
bombardiert dich mit Salzen und Säuren,
reißt dich aus, wo du im Wege stehst.
Du bist krank, lamentiert der Mensch,
der, die Natur nicht achtend,
die Wunder der Welt nicht sehend,
selbst krank an Leib und Seele ist.
Wann verstehen wir dein Klagen,
wann erkennen wir die Zeichen,
dass, helfen wir dir nicht, mein Freund,
wir alle, die ganze Welt, am Ende ist?
© Anton Ottmann
Anton Ottmann Autor und freier Journalist. Autor von Kurzgeschichten, Dialogen und Gedichten, Veröffentlichungen mehrerer literarischer Bücher und von mathematischem Unterrichtsmaterial. Mitglied des Autorennetzwerk Heidelberg.
Zur Homepage des Autors.
Juli 2020 | Fortsetzung
Heute eröffnet unser multimediales Tage- und Skizzenbuch von Heidelberger Autoren und Künstlern in Wort, Video und Klang einen vielstimmigen wie vielgestaltigen Blick auf Kunst und Leben in den Zeiten von Corona. Der Heidelberger Konzeptkünstler Peter Bösselmann, dessen Arbeiten an den Schnittstellen von Musik, Text, Foto und Video in Heidelberg immer wieder begeistern und neue Perspektiven gewähren, hat mit „PolyPhones – Ein Text. Viele Stimmen“ Visual Art Poetry mit dokumentarischem Charakter geschaffen. Grundlage war ein Text von Franz Kafka. Wie kafkaesk unsere Realität in den Zeiten von Corona bisweilen anmutet, das lässt sich in den Texten von Barbara Imgrund, Heide-Marie Lauterer und Ariana Nero nachspüren: die Diskrepanz zwischen einer entfremdeten Welt (Barbara Imgrund „Café Corona“), einem anderen Begegnen selbst innerhalb der Familie (Ariana Nero) und Momenten der Leichtigkeit, ja, der Liebe und Unbeschwertheit (Heide-Marie Lauterer „legal alien“) – getragen von den Klängen eines Songs von Sting, welche uns für einen Augenblick alles vergessen lassen.
Peter Bösselmanns PolyPhones ist ein Projekt mit der Beteiligung vieler Stimmen in vielen Sprachen: Für PolyPhones wurden die ersten Sätze der Erzählung „Der Jäger Gracchus“ von Franz Kafka in einer Bearbeitung von Peter Bösselmann in vielen Sprachen (darunter Dänisch, Englisch, Griechisch, Hindi, Kisuaheli) eingesprochen und zu einer polyglotten Sound-Collage komponiert. Verschmolzen mit „Polyphonen Augenblicken“ wie Nahaufnahmen von Menschen mit ihrer Corona-Maske oder Momentaufnahmen in der Stadt ist ein vielstimmiges wie vielschichtiges Video entstanden mit zahlreichen Text-, Klang- und Bilderwelten.
Sehen und hören Sie selbst!
Foto © Peter Bösselmann
Peter Bösselmann
arbeitet in Heidelberg als Konzeptkünstler an den Schnittstellen von Musik, Text, Foto/Video und Performance. Ein bevorzugtes Material für seine Projekte ist die »Ressource Heidelberg«. Im Rahmen von Beschränkungen und Möglichkeiten der kleinen Stadt entstehen aus gewollt einfachen Ansätzen poetisch verdichtete Arbeiten, in denen sich Bild/Video, Text und Musik zu surrealen Blicken auf den Ort verbinden. Aktuell arbeitet Peter Bösselmann an dem Video »Sieben Ansichten des Kôsô Entotsu«, einem »Heidelberg/Hokusai-Projekt«, das sich von einer Holzschnitt-Serie Hokusais zu einem speziellen Blick auf Heidelberg inspirieren lässt. Durch die Corona-Einschränkungen liegen die Entotsu-Dreharbeiten brach – Zeit für PolyPhones.
Zur Homepage des Künstlers.
Café Corona
Sommer wie immer ist aus, und draußen nur Kännchen mit Abstand.
Was das kostet? Nähe.
Wucher, aber ich bezahle.
Mein Murren vom Mundschutz maskiert. Auch was wert…
© Barbara Imgrund
Barbara Imgrund, im Allgäu aufgewachsen, in München Germanistik studiert und in verschiedenen renommierten Verlagen das Lektorenhandwerk gelernt. Seit 1998 arbeitet sie frei als Übersetzerin und Autorin. Ehrenamtlich engagiert sie sich im Tierschutz, im Hospiz- und Besuchshundedienst. Die dabei gesammelten Erfahrungen verarbeitet sie in ihren Romanen: So schreibt sie mit Vorliebe erfundene Geschichten aus dem wahren Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Seit 2000 lebt und arbeitet sie in Heidelberg. Erschienen sind von der Autorin Das Glück des Schmetterlings beim Fliegen, Sonnenblumenblues, FreakOut und Wild Woman. Besuchen Sie die Homepage und die Facebook-Seite der Autorin. Hören Sie eine Lesung aus ihren Werken bei Heidelberg_liest und entdecken Sie ein weiteres Gedicht der Autorin in der Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.
…legal alien…
(nach Paterson)
Jeden Morgen gehe ich
die Treppe hinunter
drücke auf den Türöffner
lasse die roten Rosen links liegen (bewundere die weißen)
und trete ins Freie.
Mit der Zeitung in der Hand
nehme ich zwei Stufen auf einmal
in Erwartung des Morgenkaffees.
Während ich meine köstlich duftenden Bohnen
mahle
denke ich an einen Song
von Sting
und muss schmunzeln
Du
sitzt am Küchentisch
und trinkst deinen
grünen Tee.
© Heide-Marie Lauterer, Juni 2020
Dr. Heide-Marie Lauterer ist 1952 in Heidelberg geboren. Studium der Germanistik und Geschichte; Gymnasiallehrerin, Historikerin, zuletzt bei der Max-Weber-Edition an der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Nach zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen schreibt sie Romane, Geschichten und Reiterkrimis. Ihre Kurz-Geschichten sind in verschiedenen Anthologien sowie dem Band Irre Geschichten abgedruckt. Sie ist Mitglied der Mörderischen Schwestern, der Heidelberger Autorenvereinigung Litoff und dem Heidelberger Textsalon. Zuletzt erschienen ist ihr Roman Das Bestsellerprojekt. Lesen Sie ein weiteres Gedicht der Autorin in der druckfrischen Reihe Poesie unterwegs der UNESCO City of Literature Heidelberg.
Familie in den Zeiten von Corona
Neulich gab es in meiner Familie eine Garten-Einladung anlässlich eines fünfundsiebzigsten Geburtstags. Nicht mehr als zwanzig Personen, alle miteinander verwandt, regelkonform. Normalerweise trifft sich meine Familie in diesem oder ähnlichem Rahmen mehrfach im Jahr – dieses Treffen war das erste seit dem Lockdown. Ich sah dem Ganzen mit gemischten Gefühlen entgegen, hatte ich mich doch in den letzten Monaten ganz gut eingerichtet in meinem Seeleniglu und war solche größeren Zusammenkünfte tatsächlich nicht mehr gewohnt. Außerdem kenne ich meine Sippe – sie ist laut und diskussionsfreudig und sehr konträr in ihrer Einschätzung der aktuellen Lage.
Unter den ersten Gästen waren Tante Gitte und Onkel Hajo, beide Ende sechzig und soweit gesund. Ich mag die beiden sehr. Noch bevor ich mich fragen konnte, wie die Begrüßung wohl ausfallen sollte, drückte mich Tante Gitte freudestrahlend so fest, dass mir fast die Luft wegblieb. Ich muss sagen, dass es wirklich guttat, sie mal wieder in den Arm nehmen zu können. Onkel Hajo dagegen blieb mit abwehrend erhobenen Händen ein Stück entfernt stehen und meinte, ich solle es nicht persönlich nehmen, aber er „traue der Sache noch nicht.“ Für mich völlig in Ordnung, jede*r soll selbst entscheiden, wieviel Nähe er oder sie zulässt.
Später wurde Onkel Hajo, der passionierte Heimwerker und Alpinist, von einem anderen Teil der Familie hinter vorgehaltener Hand als Klopapier-Hamsterer und krisengebeutelter Panikmacher bespöttelt, während Tante Maria, die Gattin des Jubilars, unter Zustimmung von Tante Gitte gebetsmühlenartig wiederholte, dass es doch seit langem „keinerlei Fälle mehr in der Region“ gebe.
Cousine Sabrina, die Tochter von Gitte und Hajo, bezeichnete das Verhalten ihres Vaters indessen als „löblich“. Ihrer Meinung nach ist jede menschliche Begegnung in der momentanen Zeit „Russisches Roulette“. Dass die häusliche Situation bei den dreien in den letzten Monaten – euphemistisch ausgedrückt – etwas angespannt war, überraschte mich nicht allzu sehr. Aber wo war sie das nicht?
Als nächstes erschien meine ältere Cousine Petra, gerade sechzig geworden, starke Raucherin und Blutdruckpatientin im Dauerstress. Sie kam völlig außer Atem an, herzte mich umstandslos (Widerspruch wäre bei ihr sinnlos bis gefährlich) mit ihren feuchten Wangen und erklärte, sie sei ganz verschwitzt, weil sie mit dem Fahrrad da sei. Ich fühlte mich ein wenig überrumpelt, verschwand wortlos im Badezimmer und reinigte mir das Gesicht.
Durchs Fenster konnte ich hören, wie Petra nicht ohne einen gewissen Trotz in der Stimme von ihren Plänen berichtete, noch in diesem Sommer an einer gebuchten und bereits bezahlten Kreuzfahrt teilnehmen zu wollen, was von Onkel Hajo mit einem vielsagenden „Macht ihr nur, ihr werdet schon sehen…!“ kommentiert wurde. Wie ich mittlerweile weiß, wurde diese Kreuzfahrt leider – oder glücklicherweise? – abgesagt.
Nach der wort- und gestenreichen Ankunft von Cousine Eva mit Familie musste ich dann unter dem Vorwand, Eis für alle holen zu gehen, mal raus. Ich brauchte eine kleine Entspannung von der ungewohnten und für mich überraschend anstrengenden Diskrepanz zwischen der Freude, alle endlich mal wiederzusehen, und der mittlerweile antrainierten Skepsis jeglicher körperlichen Nähe gegenüber. Wie um Himmels Willen verhält man sich in solchen Situationen im Rahmen der „neuen Normalität“ richtig? Vor allem wenn mehr als die Hälfte der Anwesenden weit über sechzig ist? Auch hierfür gibt es keine Blaupause. Ich stellte fest, dass sich vor allem die Älteren in meiner Familie kaum allzu viele Gedanken darüber zu machen scheinen. Vielleicht sind sie aber auch genauso unsicher wie ich und wissen es einfach besser zu kaschieren? Von meinen Eltern und Schwiegereltern – alle über 70 und von unterschiedlichen Malaisen geplagt – bin ich diese Verkehrte-Welt-Haltung zum Thema „Ihr müsst keine Angst haben, wir haben doch kein Corona!“ längst gewohnt. Sie haben eine physische Distanz zu Kindern und Enkeln gerade mal die ersten Wochen des Lockdowns toleriert und dafür musste man sich schon permanent rechtfertigen. Wobei ich mir ehrlich gesagt auch immer wieder die Frage gestellt habe, ob sie am Ende nicht recht hatten. Sollte es der älteren und durchaus mündigen Generation nicht selbst überlassen bleiben abzuwägen, wovor sie sich schützen möchte und welche Opfer sie dafür zu bringen bereit ist?
Als ich vom Eisholen zurückkam, war die lange Tafel voll: Jung neben alt, gesund neben vorerkrankt, außer der Familie hatte sich – angeblich ganz unverhofft – noch ein Freundespaar des Gastgebers eingefunden und festgesetzt. Auch Onkel Hajo konnte den gewünschten Abstand irgendwann nicht mehr einhalten. Die Häppchen, die auf die Hand gereicht wurden, weil das Ganze ja nicht als reguläres Fest, sondern als „lockeres Beisammensein auf ein Glas“ deklariert gewesen war, wurden ebenso hungrig geteilt wie das von mir mitgebrachte Eis, und am Ende wurde sogar ein gemeinschaftliches „Happy Birthday“ geträllert. Gut, dass wir im Freien waren, aber wie wird das alles nur im Winter? Ich habe darauf nach wie vor keine schlüssige Antwort.
Die letzten Gäste waren meine 84-jährige Tante und ihr gleichaltriger Ehemann. Tante Erika leidet unter Bluthochdruck, ihr Gesamtzustand ist nach mehreren Operationen in den letzten Jahren insgesamt nicht mehr der beste. Onkel Manfred hatte vor nicht allzu langer Zeit zwei Herzinfarkte und ist übergewichtig. Die klassischen Risikopatienten also. Ich sollte Rücksicht nehmen und Abstand halten dachte ich noch, als meine Tante mich beherzt in den Arm riss mit den triumphierenden Worten: „Wir haben kein Corona! Wir waren die letzten Wochen nur zuhause!“ Schön dass wir das geklärt haben, da kann ich ja jetzt ganz beruhigt sein.
© Ariana Nero
Ariana Nero ist promovierte Germanistin, Kunsthistorikerin und Psychotherapeutin HP. Sie war in den Bereichen Journalismus, Public Relations und Marketing tätig, bevor sie sich als Psycho- und Hypnotherapeutin mit Schwerpunkt Burnout in eigener Praxis niederließ.
Nach Kurzgeschichten, Lyrik, Fachartikeln erschien 2019 ihr Heidelberger Debutroman Kuckucksbrüder als Taschenbuch und eBook. Ihr zweiter Roman Hundshochzeit ist voraussichtlich ab Mai 2020 im Handel erhältlich.
Zur Homepage der Autorin.
Juli 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Zum Start ins Wochenende füllen wir unser Tagebuch mit drei Texten, die das gesamte Spektrum zwischen Aufbruch, Nähe, zunehmender Entfremdung und Abschied literarisch auffächern: Matthias Delbrücks „Öffnung“ ist ein Tanka (Kurzgedicht), eine weit über 1000 Jahre alte japanische Gedichtform von puristisch-poetischer Schönheit, ein Lobgesang auf den Augenblick. Sofie Steinfests Gedicht „zitterasche“ eröffnet ein ganzes Kaleidoskop an lyrischen Momentaufnahmen und besticht mit seiner Sprachdichte. Claudia Schmids „Der Duft von Holunder in Gretas Garten“ ist eine berührend schöne Erzählung über das Leben, das Lieben und Abschiednehmen – versöhnlich und warmherzig wie der Duft von Hollunder. In unserer Reihe „Poesie ohne Worte“ freuen wir uns heute wieder über Michael Benz‘ unbestechlichen Kamera-Blick auf die Corona-Pandemie: fiefsinnig und bisweilen mit schwarzem Humor.
Öffnung
Auf! Alles muss raus!
Triebe, Tränen, Produkte –
schreib noch ein Gedicht.
Und wer macht dann den Wust weg,
wenn ich mein Herz ausschütte?
© Matthias Delbrück
Matthias Delbrück
1966 in Hannover geboren, seit 1986 in Heidelberg bzw. Dossenheim, promovierter (Umwelt-)Physiker. Er arbeitet seit vielen Jahren als Lektor im Sachbuchbereich, seit 2007 im eigenen Redaktionsbüro, wo er auch übersetzt und journalistische Texte verfasst. Kreatives Schreiben seit 2012, Kurse u. a. bei Karina Odenthal; er veröffentlichte mehrere Kurzgeschichten und Lyrik. „Lyrik“, sagt er, „ist etwas Wundervolles, aber nicht leicht zu fassen.“ | © Foto (privat)
zitterasche
geäst (nicht kahl)
blätterrauschen und zitterasche
im leichten flug
nur bodennah friert es noch
nicht warten wollen (können)
ohne große begeisterung da
einen weiteren tee bestellt
treu allein dem zufriedenheitssaum
nichts kann (soll)
uns diese tage geraderücken
die uns mithin genommen wurden
entwölkt das zuhause mags schon sein
doch immer diese jahreszeiten
die nicht mit sich übereinstimmen (wollen)
so wenig wie wir
eilig eine knappe mahnung ins exil nachgerufen
uns die wir uns abgesondert haben
vom leben (telle quelle*)
in dem es uns nicht geben soll derart
ringsum der zweifel wohl heilsam entbrandet
unbeeindruckte sonnenflecken
wandern derweil über hügel (diese und jene)
und haben kein geschlecht
so siezen wir uns alle glücklich wieder
______________________
* de temps en temps
je me sauve dans
la langue francaise
© Sofie Steinfest
zitterasche erscheint in: Klischée. Gegenwartsliteratur. (Heidelberg), Nr. 5, Sommer 2020; erhältlich ab August im Buchhandel und auf der Homepage der Zeitschrift
Sofie Steinfest
in Wien geboren, ist Naturwissenschaftlerin (Zoologie) und Philosophin. Sie hat als Verhaltensforscherin mit einer Gruppe Neuweltaffen gearbeitet, für verschiedene NGOs und im Europäischen Parlament. Mit ihren drei Kindern lebt sie heute am Rande des Odenwalds, wobei ihr die mittlerweile erworbene therapeutische Ausbildung vorgeblich hilft. Sie arbeitet in Heidelberg, ist mit ihrem Lieblingsschriftsteller Heinrich Steinfest verheiratet und widmet sich mit ebensolcher Leidenschaft dem eigenen Schreiben, zuletzt dem Roman „Die Geburtsstunde der Donaustörung“ sowie einiger Kurzprosa und Lyrik. Seit 1996 erste Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien wie „Schreibkraft“, „DUM“, „Litopian“, „Pappelblatt“, „Lit:Us Fanzine“, „Theater Heidelberg“.
Lesen Sie ein weiters Gedicht von Sofie Steinfest in der druckfrischen Reihe Poesie unterwegs der UNESCO City of Literature Heidelberg.
Sehen Sie die Autorin auch in der Reihe Coronline des Rhein-Neckar-Fernsehens.
Foto © Robert Marcus Klump
Claudia Schmid: Der Duft von Holunder in Gretas Garten
Es war einer jener Tage, der länger zu sein schien als andere. Selbst in der Erinnerung nimmt er mehr Raum ein als andere. Danach war vieles für mich anders. Klarer in der Wahrnehmung.
Die Sonne schien bereits des Morgens mit einer Kraft, welche die Hitze des Tages ahnen ließ. Noch einmal führte mein Weg mich zu dem Garten, in dem ich so viele Stunden verbracht hatte. Es war der Schrebergarten von Tante Greta. Ich nannte sie so, obwohl sie nicht mit uns verwandt war. Sie wohnte, als ich ein Kind war, im selben Haus wie wir. Aus Böhmen war sie vertrieben worden. Ihr Verlobter kam nie aus dem Krieg zurück. Greta fand eine Anstellung in einem Laden. Tag für Tag stand sie sich hinter der Theke ihre schönen Beine in den Bauch. Bei meiner Geburt war sie schon ein „spätes Mädchen“ gewesen. So sagte man damals zu unverheiratet gebliebenen Frauen. Auf der Kommode in ihrem Wohnzimmer stand das Foto von ihr und Albert. Am Tag ihrer Verlobung waren sie zum Fotografen gegangen. Er musste so rasch in den Krieg, da blieb keine Zeit mehr für eine Hochzeit. „Da oben“, sagte sie oft vertraulich zu mir, während wir gemeinsam Brombeeren pflückten, „sehen wir uns wieder. Albert wartet dort auf mich.“ Dann hielt sie inne und reckte ihr Gesicht in Richtung Himmel, so, als würde sie ihn auf einer der Wolken sehen.
Albert musste lange auf Greta warten. Aber nun ist sie bereit. Sie trägt ein weißes Kleid, ich habe es ausgewählt. 93 Jahre, das steht auf dem Sterbebildchen. Ich habe in ihrem Garten Blumen gepflückt und ihr einen Kranz gewunden. Den trägt sie nun.
Schon als Kind habe ich sie in ihren kleinen Garten begleitet. Dort baute sie Gemüse an. Sie versorgte das gesamte Haus damit. Wenn der Schäfer mit seiner Herde durch unser Viertel ging, folgten wir ihm mit Eimern und Holzstecken. Damit spießten wir die Hinterlassenschaft der Schafe auf und arbeiteten sie als Dünger in die Beete ein. „Magst du einen Holler-Tee?“, fragte sie oft im Sommer. Dann lief ich los und sammelte die duftenden Blüten des Holunder-Strauches. Aus den Beeren entstand Gelee. Später, in der Pubertät, habe ich aufgehört, zu Greta in den Garten zu gehen. Als ich Jahre danach wieder kam, mit Anna an der Hand, war es so, als wäre ich nie weg gewesen. Greta erzählte, gemeinsam mit ihr auf einer blauen Bank sitzend, Anna dieselben Märchen und Sagen, denen ich selbst als Kind gebannt gelauscht hatte.
Ich durfte nicht zu ihr, als sie auf dem Sterbebett lag. Niemand hielt ihre Hand, als sie sich auf die Reise zu Albert machte. Es sei zu gefährlich, hieß es. Man hatte diesen Virus bei ihr festgestellt. Aber ich glaube, Greta war einfach des Wartens überdrüssig. Sie hielt die Zeit für gekommen, endlich ihrem Verlobten zu folgen. Ich ließ ihr ein Tablet bringen, gab ihr mittels Video einen Gruß mit an Albert. Ihr gütiges Gesicht wirkte müde. Auf ihrer Brust, die sich kaum mehr hob, lag ihr langer weißer Zopf.
Ich saß mit dem Priester in der Halle. Er trug auf seinem schwarzen Mundschutz ein weißes gesticktes Kreuz. Bestattungsfeiern waren untersagt. Dabei wäre doch ohnehin niemand gekommen. Beinahe alle, die sie kannten, seit sie hier wohnte, waren selbst schon tot oder weggezogen. Greta war die Letzte aus einer Zeit, in der man noch eigenhändig Schafköttel einsammelte und das Gemüse damit düngte.
Das Knarzen der Sohlen der Sargträger hallte in dem Raum. Sie trugen sie hinaus. Ich habe eine Grabstätte für sie gekauft, unter einer Linde. Das hätte ihr gefallen. Lebe wohl, Greta. Grüße Albert von mir. Er muss ein wunderbarer Mensch gewesen sein, wenn ihm eine Frau wie Greta jahrzehntelang die Treue hielt.
Zuhause sprang mir Anna entgegen. „Magst du einen Holler-Tee?“, fragte ich sie. Ich war nach der Beisetzung ein letztes Mal in Gretas Garten gewesen. Die Blüten dufteten betörend süß.
Text und Foto © Claudia Schmid
Claudia Schmid schreibt Kriminelles, Historisches, Reiseberichte, Hörspiele und Theaterstücke. Sie lebt in der Nähe von Heidelberg. Neben ihren Büchern hat die Germanistin rund fünfzig Kurzgeschichten veröffentlicht und mehrere literarische Preise erhalten. Die Ehren-Kriminalkommissarin der Polizei Mannheim-Heidelberg ist zudem Redakteurin von Kriminetz.
Zur Homepage der Autorin. Lesen Sie auch ihr Gedicht in der druckfrischen Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.
„Malerei ist eine stumme Poesie und die Poesie ist eine blinde Malerei.“
LEONARDO DA VINCI
Das Poetische braucht nicht immer Worte, es kennt unzählige Ausdrucksformen. „Das Schreiben in den Zeiten von Corona“ kann buchstäblich bildhaft und in dieser Bildhaftigkeit poetisch-narrativ sein. Das zeigen uns auch die heutigen Bilder von dem Fotografen Michael Benz, dessen Fotos, Tiefsinnigkeit und bisweilen schwarzer Humor dieses Tagebuch auch schon zuvor bereichert haben.
Klicken Sie auf eines der Fotos und sich unmittelbar hinein in „Poesie ohne Worte“.
Michael Benz
Jahrgang 1961, bezeichnet sich selbst als „Tourist“: „Der Kamerasucher erlaubt mir unzählige Versionen der Welt“. Fotografiert seit seiner Kindheit. Seine Fotografien hat er in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt.
Juni 2020 | Fortsetzung
Zum Wochenbeginn schlagen wir eine neue Seite in unserem multimedialen Tage- und Skizzenbuch von Heidelberger Autoren auf: mit Kurzprosa von Rolf Krane Die Leichtigkeit des Scheins, ein Text, der sich wie eine individuelle Fortsetzung jener Erfahrungen und Gedanken liest, die die Autorinnen Sonja Viola Senghaus, Bella Bender und Dorina Merlen Heller in ihren Beiträgen aus der vergangenen Woche literarisch reflektierten. Rolf Krane ist ein genauer Beobachter, er lässt uns durch die Augen eines Ich-Erzählers auf ein Heidelberg blicken, das sich ebenso verändert hat wie wir selbst. Adriana Carcu ist eine wortgewaltige Schriftstellerin, ihr Gedicht Verwandlungen zeigt uns unmittelbar die Macht und Kraft von Worten, von Poesie, ja vom Schreiben selbst – ganz gleich ob in den Zeiten von Corona oder weit darüber hinaus. „Den flüchtigen Moment bergen“, „Seelen-Archäologie“, das ist es, was Poesie auch für Rebecca Netzel ausmacht, eine wunderbare Liebeserklärung nicht nur an das geschriebene Wort, sondern auch an das, was uns – jeden für sich – ausmacht: das Leben… in all seiner jeweiligen Einmaligkeit.
Verwandlungen
Wären meine Worte Feuer,
Würden sie nach und nach zu Asche,
Und plötzlich befände ich mich
Inmitten von verbrannter Erde.
Wären meine Worte Stein,
Würden sie nach und nach zu Sand,
Und irgendwann müsste ich dann
In einer Wüste leben.
Wären meine Worte Wasser,
Würden sie an mir hinunterrinnen,
Und eines Tages wäre ich einsam
Wie eine Insel.
Doch die Worte sind Sommerwolken,
werfen flüchtige Schatten auf die Erde,
Steigen als Drachen in die Höhe
und schweben über der vergessenen Einöde,
Schnellen als weiße Vögel in namenlose Meere hinab,
Durchbrechen als umherirrende Schiffe
kurz die ungewisse Linie des Himmelkreises.
© Adriana Carcu
Adriana Carcu ist eine internationale Journalistin und Autorin, kuratiert Kunstaustellungen mit deutschen und rumänischen Künstlern und unterrichtet seit 2007 Englisch und Rumänisch an der Volkshochschule Heidelberg. Sie wurde im rumänischen Temeschwar geboren und lebt seit 1988 in Heidelberg. Sie hat englische Literatur und Zivilisation studiert und mit einer Arbeit über „Human Nature and Human Condition in the Works of Henry James” abgeschlossen. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter Interview des Jahres mit Künstler Valeriu Sepi (Die Geschichte unserer Tage). Eine sentimentale Chronik war als Bestes Buch des Jahres (Gala für herausragende Verlagsneuerscheinungen) nominiert. Adriana Carcu ist Mitglied u.a. im Rumänischen Schriftsteller Verein, Exil P.E.N international, GEDOK Heidelberg. Zuletzt erschienen von ihr Golden (Pop-Epik), aus dem auch das Gedicht Im Vorübergehen stammt, und Das Lied aus dem Norden. Zur Homepage und Facebook-Seite der Autorin.
POESIE
Den flüchtigen Moment
im dichterischen Wort
bergen
behutsame Seelen-Archäologie
Schicht um Schicht
Gedicht um Gedicht.
© Rebecca Netzel
Rebecca Netzel, geb. 1963, Sprachwissenschaftlerin und Autorin (zahlreiche Romane, Fachpublikationen). Zentrale Themen sind ihr „Mensch und Natur, Umweltschutz“ sowie Metaphorik und Indianistik (in eine Lakota/Sioux-Familie adoptiert). Lesungen und Events, u.a. bereits mehrfach als Akteurin im Rahmen der Vita Magica (Heidelberg), DAI Heidelberg, auf der Frankfurter und Leipziger Buchmesse sowie im Ausland (Hemingway Foundation of Oak Park, Chicago); div. Interviews in Printmedien und Hörfunk (SWR Contra, HR, SWR2) und Fernsehen. Mitglied im Heidelberger Textsalon. Auszeichnung: Das Goldene Vita Magica-Herz (verliehen vom Vita-Magica-Veranstalter Wolfgang Hampel).
Rolf Krane: Die Leichtigkeit des Scheins
Drei Monate lang hatte ich mich selbst bekocht. Nur gelegentlich, wenn ich die Lust oder die Fantasie verloren hatte, griff ich ins Tiefkühlfach und es gab Pizza. Viel lieber hätte ich mich in einem Restaurant von einer fremden Küche mit exotischen Speisen verwöhnen lassen. Dann träumte ich von der libanesischen Küche. Dachte ich nur an ihre frischen Kräuter, grüne Minze und Koriander, an ihre orientalischen Gewürze, Kreuzkümmel und Chili, aber auch an Zimt und Anis, dann lief mir schon das Wasser im Mund zusammen. In meiner Vorstellung konnte ich das Aroma saftig gebratener Auberginenscheiben schmecken, meine Zähne bissen genussvoll in die knackig gebackenen Blumenkohlröschen, der würzige Hummus zerging auf meiner Zunge und die fein süße Säure eingelegter roter Rüben explodierte in meinem Gaumen.
Endlich waren die Neuansteckungen auf null gesunken und die Restaurants durften ihren Betrieb wieder aufnehmen. An Fronleichnam mache ich mich nachmittags auf den Weg zum Essen in die Heidelberger Altstadt und schlendere vom Bismarckplatz durch die Hauptstraße. Doch die körperliche Nähe in der flanierenden Masse überfordert mich nach Wochen der Isolation und ich weiche aus auf den Plöck. Hinter der Universitätsbibliothek steuere ich zielstrebig den ersten libanesischen Imbiss an. Die Tische vor dem Eingang sind alle belegt und im Lokal drängt sich ein Dutzend junger Leute vor der Theke. Also lasse ich den Imbiss rechts liegen, lege meinen Mundschutz an, wage mich wieder auf die Hauptstraße und erreiche nach wenigen Metern den nächsten Libanesen. Zwar sind auch hier alle Tische an der Straße belegt, aber ein Blick in den Innenraum macht mir Mut. Entschlossen durchschreite ich das leere Lokal, warte vor der Kasse und beobachte einen jungen Mann, der ausgestattet mit Mundschutz und leuchtend blauen Gummihandschuhen ein Teller-Menü zusammenstellt. Schließlich bin ich an der Reihe. Er stellt sich hinter die Kasse, blickt mich und fragt: „Bitte?“ Ich antworte: „Bitte einen Makali-Wrap zum Mitnehmen!“ Der vegetarische Wrap vereint alles in einer Tasche, was ich an libanesischer Küche mag. Er enthält gebackenen Blumenkohl, gegrillte Auberginenscheiben, Knoblauchcreme, Hummus, eingelegte rote Rüben, Tomaten, Gurken und Blattsalat. Um diese Köstlichkeit später in Ruhe und mit Genuss verzehren zu können, werde ich mich damit auf eine Bank am Rande des Universitätsplatz zurückziehen.
Dann deutet der junge Mann an der Kasse mit seiner leuchtend blauen rechten Gummihand auf den Zahlteller: „Macht vier Euro zwanzig.“ Ich lege einen Fünf-Euro-Schein darauf. Die blauen Finger greifen nach dem Schein, dann in die Kasse und legen das Wechselgeld zurück auf den Teller. „Stimmt so!“ sage ich, lasse es liegen und gehe zum Eingang, wo ein steter Wind durch die Straße weht und sich die Luft im Lokal erneuert. Dort warte ich und sehe dem jungen Mann dabei zu, wie er meinen Wrap zubereitet. Mit einer Plastikschale in der linken Hand, öffnet er mit der rechten Hand einen Kühlschrank, greift mit seinen Gummifingern hinein und holt einige Gemüseteile hervor, die er in die Schale legt.
Ich bin überrascht, mit welcher Leichtigkeit er mit denselben Handschuhen von der Kasse ins Gemüse greift. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde das Gemüse vor der Krise mit Zangen angefasst. Sicher, die Hände sind ein einfach zu nutzendes Werkzeug zum Greifen von Nahrungsmitteln. Sie sind auch das natürlichste. Hunderttausende von Jahren hat die Menschheit sie dazu benutzt und einige Kulturen essen heute noch mit den Fingern. Wenn man heutzutage dennoch künstliche Zangen benutzt, dann möchte man vermeiden, dass krankmachende Keime über die Hände ins Essen geraten. Da der junge Mann nun Gummihandschuhe trägt, kann das nicht passieren. Denkt er und er hat Recht. Doch die Keime überlisten ihn. Sie versammeln sich anstatt auf seinen Händen viel lieber auf seinen Gummihandschuhen, wo sie viel besser sitzen bleiben und keiner sie stört. Daran denkt er nicht. Er stellt die Schüssel mit meinem Gemüse in eine Mikrowelle, startet sie und verschwindet.
Nach einer Weile erscheint ein zweiter Mitarbeiter mit den gleichen leuchtend blauen Gummihandschuhen. Er greift in eine Schublade, entnimmt ihr einen Teigfladen, legt ihn auf einen Teller, öffnet die Mikrowelle, holt die Schale heraus und stellt den Teller hinein. Dann verschwindet auch er wieder. Wieder nach einer Weile kommt ein Dritter, holt den Teller aus der Mikrowelle und stellt ihn neben die Schale. Dann verschwindet er kurz und kommt zurück mit einem Vierten, beide mit den leuchtenden Gummihandschuhen. Ihr Blau erinnert mich an Fernsehserien, die im Krankenhaus spielen. Ich stelle mir vor, wie die zahlreichen Mitarbeiter ihre Hände gründlich mit Seife waschen und mit frischgewaschenen Tüchern abtrocknen. Anschließend strecken sie ihre Unterarme und Finger einem Vorarbeiter entgegen, der ihnen gekonnt die sterilen Gummihandschuhe überzieht. Erst dann dürfen sie hinter die Ladentheke.
Mittlerweile haben sich der Dritte und der Vierte über meinen Fladen gebeugt. Während der Dritte ihn mit Gemüse belegt, verfolgt der Vierte aufmerksam jeden Handgriff. Danach legt der Dritte das Gemüse zurück in die Schale und der Vierte wischt seine Gummihandschuhe an der Schürze ab. Erst dann greift er nach dem Gemüse und verteilt es erneut auf meinem Fladen. Der Dritte beobachtet und korrigiert ihn, greift ein, wenn nötig, platziert eine Scheibe Aubergine neu oder legt eine Stück Blumenkohl um. Die beiden operieren völlig entspannt mit ihren gummierten Händen in meinem Gemüse. Die Gummihandschuhe sind für sie wie eine zweite Haut, als wären sie ein Teil von ihnen. Ich stelle mir vor, wie sie damit zur Toilette gehen und sich erleichtern. Eine Übelkeit steigt in mir auf und bleibt als Würgen im Hals stecken. Eine allergische Reaktion. Ich verlasse fluchtartig das Lokal. Wahrscheinlich habe ich eine Gummi-Intoleranz.
Text und Fotos © Rolf Krane
Foto © Michael Benz
Rolf Krane ist ein unabhängiger Reise-Fotograf und Autor des Buches Der Reisende Rahmen. Foto-Reportagen seiner Heilreisen veröffentlicht er auf der Website www.heil.reisen.
Juni 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Auf vielfachen Wunsch und angesichts des überwältigenden Interesses setzen wir unser multimediales Corona-Tagebuch fort, nicht mehr mit täglichen Einträgen wie während des Lockdown, sondern im Sinne eines Wochen- und Monatsjournals. Über neue Beiträge werden wir stets auch auf unserer Facebook-Seite informieren.
Wir freuen uns, das multimediale Tage- und Skizzenbuch sogleich mit drei wunderbaren Texten von Sonja Viola Senghaus, Bella Bender und Dorina Marlen Heller wiederzueröffnen: Während viele europäische Länder nach und nach zu einer Normalität zurückzufinden versuchen, erreicht die Corona-Pandemie weltweit einen weiteren Höhepunkt. Wie fühlt sich unser zurückgewonnener „Freiraum“ an, ist es ein „Aufbruch“ oder vielmehr nur ein „Ausatmen“? Die Lyrikerin Sonja Viola Senghaus hat diese Dialektik von Aufbruch und Zurückhaltung in ihrem Gedicht „Freiraum“ poetisch in Worte gekleidet. – Haben uns die vergangenen Wochen verändert, was ist überhaupt jene „Normalität“, zu der wir alle nun zurückkehren? Manches, etwa die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft, die rauschhafte Lust an unbegrenzten Möglichkeiten, so reflektiert Bella Bender in ihrem Essay, hat sich auch durch die Corona-Pandemie nicht verändert. Dorina Marlen Hellers wunderbares Gedicht „rückzug ins innere“ liest sich wie eine lyrische Antwort, spannt in Metaphern ein kontrastreiches Innen und Außen.
Freiraum
Augenblicke
einatmen
Fenster und Türen
weit offen
Wolkenschleier
abstreifen
eintauchen
in Alabasterblau
vom Sonnenlicht
durchflutet sein
nur über Schatten springen
gelingt heute nicht
aber
ein Ausatmen
© Sonja Viola Senghaus
Sonja Viola Senghaus, Lyrikerin, lebt und arbeitet in Speyer.
Publikationen: Gedichtbände „Licht-Flügel-Schatten“ (Übersetzung auch ins Rumänische), „Sprachruder“, „Nachhall“, „Zwischen Tag und Traum“ und zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften.
Auszeichnungen: Mannheimer Literaturpreis 2016/17 (1. Preis für Lyrik zum Thema Flucht.Punkt.Stadt“), Teilnahme am Landesprogramm Rheinland-Pfalz „Jedem Kind seine Kunst“.
Mitgliedschaften: Schriftstellerverband in Ver.di Rheinland-Pfalz, Literarischer Verein der Pfalz, Leiterin der Sektion Speyer, Autorengruppe Spira, GEDOK – Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer Heidelberg e.V., Segeberger Kreis – Gesellschaft für Kreatives Schreiben e.V.
Bella Bender: Was sich nicht verändert hat
Wann sind wir in die Zeitlosigkeit geraten? Ich spreche nicht vom Lockdown. Die Isolation hat die Zeit nicht schneller oder langsamer gemacht. Stattdessen hat sie uns dazu gebracht, uns ihrem Vergehen bewusst zu werden. Doch Bewusstheit gibt auch keine Antwort auf die Frage, ob wir nun zu schnell oder zu langsam leben. Vermutlich stimmt beides. Wir essen zu schnell, machen zu wenig Pausen, tanzen auf zu vielen Hochzeiten gleichzeitig und machen uns zu viel Druck. Aber gleichzeitig verlieren wir aus den Augen, wofür wir einst brannten, lassen Menschen nicht gehen, sondern entschwinden. Wir nehmen nicht den letzten Schritt in die Leere, sondern warten dort, wo wir es bequem haben.
Das Leben, wie es die meisten von uns führen, schafft eine Schleife der immergleichen Wiederholung: Wir stehen auf, hetzen uns durch den Tag und sitzen keine Minute still. Abends liegen wir mit Rückenschmerzen im Bett und lenken uns ab. Ablenkung muss sein, nur sie macht die Wiederholung erträglich. Dennoch schämen wir uns für unsere Sucht nach Zerstreuung, betonen, wie toll wir Dokus und gut recherchierte Podcasts finden. Letztendlich schauen wir aber jeden Abend lieber TrashTV.
Wird man immer stumpfer, je mehr Möglichkeiten sich erschließen, etwas Neues zu lernen? Vielleicht fehlt uns nur die Aufmerksamkeit dafür. Oder aber wir wissen nicht mehr, wie es war, etwas Neues zu erfahren, ohne darin einen sofortigen Nutzen zu erkennen. Wann hast du das letzte Mal ein Buch gelesen, aus reiner Neugier? Oder hast du dich nicht doch mit der Lektüre gebrüstet, hast es vielleicht sogar die Welt wissen lassen, was du da machst? Oder hast du zumindest am Abend dein Spiegelbild gelobt: „Schön brav, bilde dich weiter!“ Wann hast du das letzte Mal einen Film angesehen und dabei kein Wort gesagt?
Wann hast du das letzte Mal ein paar Worte einer neuen Sprache gelernt, einfach um zu wissen, wie sie klingt, ohne dich auf den Google Übersetzer zu verlassen? Wann hast du das letzte Mal jemandem wirklich zugehört? Das letzte Mal gesagt, was du selbst willst, anstatt nur jemanden zufrieden stellen zu wollen? Siehst du den Menschen an, der vor dir steht, oder denkst du nur daran, vor ihm gut auszusehen?
Selbstdarstellung ist der Tod der Neugier.
Überall sprechen sie von der Rückkehr der Normalität. Es fällt mir schwer zu sagen, was eine Normalität ist. Aber ich wünsche mir eine Gegenwart, in der wir uns wieder in etwas vertiefen können, sei es ein Gedanke oder einfach nur ein anderer Mensch. Abtauchen, die Zeit vergessen. Bis die Stunde wieder schlägt.
© Bella Bender
Bella Bender, geboren in Baden-Baden, lebt heute in Heidelberg. Im Juni 2017 erschien ihr Erstlingswerk Tinte in Wasser, im Mai 2019 veröffentlichte der Periplaneta Verlag in Berlin ihre Erzählungen Die artgerechte Haltung von Gedanken, 14 Kurzgeschichten über den menschlichen Grundkonflikt zwischen Freiheit und Sicherheit. Das Cover wurde von Julia Klaiber gestaltet. Sie arbeitet als Lektorin und schreibt aktuell einen Roman.
Heidelberger konnten die Autorin zuletzt im Winter bei ihrer Lesung im Bücherglück – Petras BahnstadtBuchhandlung erleben. Auf Instagram liest sie regelmäßig aus ihren Texten. Besuchen Sie die Homepage der Autorin, wo Sie auch ihre Gedanken zum Mitnehmen finden.
rückzug ins innere
von den wänden blättert
die farbe ab
nachts rieselt dir kalkstein aufs gesicht
draußen haben längst
die schlimmsten unter den narren
das kommando übernommen
öffnest du das fenster
schlägt dir laut die welt entgegen
aber du
wohnst im inneren des kerngehäuses
in der holzig feuchten fruchtstille
wo alle farben wie durch augenlider
gedämpft schimmern
du kühlst dir die stirn an den
glatten zellwänden
atmest in dich hinein
und das vorpreschen der jahre
ist nur ein luftzug
im kerngehäuse
© Dorina Marlen Heller
Dorina Marlen Heller, geb. 1995 in Wien als deutsch-österreichische Doppelstaatsbürgerin. Seit Herbst 2013 Studium der Sinologie, Anthropologie, Literaturwissenschaft in Heidelberg, London, Peking und aktuell der Women’s/Gender Studies in Oxford. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig und interdisziplinär mit Frauenrechten in China. In ihrer aktuellen Diplomarbeit lotet sie die Bedeutung und Biografie der chinesischen Lyrikerin, Rebellin und Feministin Qiu Jin aus. Veröffentlichungen in diversen Anthologien und Zeitschriften (u.a. Jahrbuch österreichischer Lyrik, mischen, Mosaik, Theater Heidelberg, StoryApp, Edition Lyrik der Gegenwart). Mehrfache Preisträgerin bei verschiedenen Literaturwettbewerben u.a. 1. Platz beim Niederösterreichischen Literaturpreis „blattgold“, 2. Platz beim Europäischen Literaturwettbewerb der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz, 3. Platz beim zeilen.lauf-Lyrik-Wettbewerb, 1. Platz in der Kategorie Lyrik beim Forum Land Literaturpreis 2013 und unter den Top 10 beim fm4 wortlaut 2013. Teilnehmerin der „Expedition Poesie“ 2018 nach Granada im Rahmen der Kooperation der UNESCO Cities of Literature Heidelberg und Granada.
Lesen Sie ein weiteres Gedicht der Autorin aus der Reihe „Poesie unterwegs“ der UNESCO City of Literature Heidelberg.
Foto © Darina Nikolova
25./26. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Achtzehn Tage lang haben uns Autoren und Künstler im „Multimedialen Tage- und Skizzenbuch“ begleitet und jeden Tag mit Lyrik, Prosa, Essays, „Poesie ohne Worte“, Visual Poetry, Audio- und Videolesungen bereichert. So erwartet Sie auch zum Ende unseres Tagebuchs ein wahres poetisches Feuerwerk: mit Texten voller Mut, „unseren Schritten mehr Puls und Atem zu geben“ (Elisabeth Singh-Noack), „die Füße schweben zu lassen“ (Gertrud Edelmann), umsichtige „Kriegerinnen“ (Rolf Krane) und „standhaft im Wind“ (Barbara Imgrund) zu sein… und nicht zuletzt: dass wir uns – Corona zum Trotz – unsere Literaturstadt Heidelberg bewahren, denn „eine satte Weile gehört sie uns“ (Claudia Schmid). „To walk“ (Peter Bösselmann) mag das Motto der nächsten Wochen sein, umsichtig und Schritt für Schritt.
Diese und weitere wunderbare Beiträge in Wort und Bild von Matthias Delbrück, Teresa Kaya, belmonte und Michael Benz erwarten Sie hier im „Tage- und Skizzenbuch“ und auch in unserer Lese-Lounge, die wir zum Abschluss nochmals umgestaltet haben und die für Sie – innerhalb dieses Tagebuchs – auch in den nächsten Wochen weiterhin ein Raum zum Verweilen sein mag, bisweilen gar mit neuen Texten ergänzt wird.
Der Baum
Aufrecht, zum Licht
reckt er sich
streckt er sich
bricht aber nicht
standhaft im Wind
so weise
und leise
wie nur Große es sind
was für ein Traum
wäre der Mensch
weniger Mensch
und mehr Baum.
© Barbara Imgrund
Barbara Imgrund, im Allgäu aufgewachsen, in München Germanistik studiert und in verschiedenen renommierten Verlagen das Lektorenhandwerk gelernt. Seit 1998 arbeitet sie frei als Übersetzerin und Autorin. Ehrenamtlich engagiert sie sich im Tierschutz, im Hospiz- und Besuchshundedienst. Die dabei gesammelten Erfahrungen verarbeitet sie in ihren Romanen: So schreibt sie mit Vorliebe erfundene Geschichten aus dem wahren Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Seit 2000 lebt und arbeitet sie in Heidelberg. Erschienen sind von der Autorin Das Glück des Schmetterlings beim Fliegen, Sonnenblumenblues, FreakOut und Wild Woman. Besuchen Sie die Homepage und die Facebook-Seite der Autorin. Hören Sie eine Lesung aus ihren Werken bei Heidelberg_liest und entdecken Sie ein weiteres Gedicht der Autorin in der Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.
Der Autor Matthias Delbrück hat in den vergangenen Wochen der Coronakrise Haikus geschrieben. Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Weg auch nach Deutschland fand. Rainer Maria Rilke sah in dieser weltweit kürzesten Gedichtform „einen neuen und wertvollen Bewußtseinsinhalt“. Haikus zu schreiben, ist dichterisch anspruchsvoll. Traditionell bestehen sie aus drei Zeilen: Die 1. und 3. Zeile haben fünf, die 2. hat sieben Silben. Diese Kürze verlangt eine komprimierte Sprachdichte, zugleich sollen Haikus vielschichtige, antithetische oder symbolische Aussage enthalten. Die Texte sollen sich im Erleben des Lesers vervollständigen.
Spielende Wörter
halten mich in der Schwebe
Verblühtenbaumtraum
mehr Menschenelend
dauerblaue Himmelszeit
Bezüge bleiben
Matthias Delbrück
1966 in Hannover geboren, seit 1986 in Heidelberg bzw. Dossenheim, promovierter (Umwelt-)Physiker. Er arbeitet seit vielen Jahren als Lektor im Sachbuchbereich, seit 2007 im eigenen Redaktionsbüro, wo er auch übersetzt und journalistische Texte verfasst. Kreatives Schreiben seit 2012, Kurse u. a. bei Karina Odenthal; er veröffentlichte mehrere Kurzgeschichten und Lyrik. „Lyrik“, sagt er, „ist etwas Wundervolles, aber nicht leicht zu fassen.“ | © Foto (privat)
Das Haiku hat sich aus dem Tanka (Kurzgedicht) entwickelt, eine weit über 1000 Jahre alte japanische Gedichtform von puristisch-poetischer Schönheit: ein Lobgesang auf den Augenblick.
Der Heidelberger Konzeptkünstler Peter Bösselmann teilt mit uns heute ein „Tanka“ der besonderen Art und voller ästhetischer Anmut, das in Zusammenarbeit mit der Tänzerin und Choreografin Crystal Schüttler entstanden ist. Das Tanzstück „to walk“ ist inspiriert von Leben und Werk der japanischen Tanka-Dichterin Kawano Yuko. In die Musik zum Stück sind Texte von Kawano im japanischen Original eingearbeitet (Rezitation Yuri Isogai). Am 14. März 2020 hatte das Tanzstück – bedingt durch die Corona-Pandemie in einem Livestream – Premiere.
Foto © Peter Bösselmann
Peter Bösselmann
arbeitet in Heidelberg als Konzeptkünstler an den Schnittstellen von Musik, Text, Foto/Video und Performance. Ein bevorzugtes Material für seine Projekte ist die »Ressource Heidelberg«. Im Rahmen von Beschränkungen und Möglichkeiten der kleinen Stadt entstehen aus gewollt einfachen Ansätzen poetisch verdichtete Arbeiten, in denen sich Bild/Video, Text und Musik zu surrealen Blicken auf den Ort verbinden. Aktuell arbeitet Peter Bösselmann an dem Video »Sieben Ansichten des Kôsô Entotsu«, einem »Heidelberg/Hokusai-Projekt«, das sich von einer Holzschnitt-Serie Hokusais zu einem speziellen Blick auf Heidelberg inspirieren lässt. Durch die Corona-Einschränkungen liegen die Entotsu-Dreharbeiten brach – Zeit für PolyPhones.
Zur Homepage des Künstlers.
Tanz mit dem Leben
Bewegung im Stillstand,
Stille in Bewegung –
Ziehen wir ernsthaft
in Erwägung,
unseren Schritten mehr
Puls und Atem zu geben?
Schreiten im Tanz,
tanzende Schritte –
dem Mut folgt
die Begeisterung!
Ohne Choreographie,
ohne Noten, ohne Taktstock
den Schritten mehr
Gewicht verleihen,
dem Boden vertrauen,
dem Rhythmusgefühl.
Natur und Universum
fordern uns nicht heraus,
sondern auf zum
Engtanz auf poliertem Parkett.
© Elisabeth Singh-Noack
Elisabeth Singh-Noack, 1961 in Hamburg geboren, schreibt seit ihrem 16. Lebensjahr Gedichte, später auch Kurzprosa, Szenen sowie Haikus. Sie studierte Indologie, lebte und wirkte lange in Indien, Portugal und an vielen Orten Deutschlands zwischen Alster und Chiemsee, hat drei Kinder in die Lebenskunst eingeführt und unterstützt Menschen in schwierigen Lebensphasen. Seit 2005 wohnt sie vorwiegend in Dossenheim und ist Mitglied der Literatur-Offensive Heidelberg. Ihre Texte erscheinen in Anthologien, in Hörspiel, Internet und bei anderen Projekten. Am liebsten berauscht sie sich an Natur, Dichtung und Klang. Im September 2020 wird im Lothar Seidler Verlag ein Buch mit Lyrik erscheinen. Lesen Sie ein weiteres Gedicht der Autorin aus der Reihe Poesie unterwegs
„Malerei ist eine stumme Poesie und die Poesie ist eine blinde Malerei.“
LEONARDO DA VINCI
Das Poetische braucht nicht immer Worte, es kennt unzählige Ausdrucksformen. „Das Schreiben in den Zeiten von Corona“ kann buchstäblich bildhaft und in dieser Bildhaftigkeit poetisch-narrativ sein. Das zeigen uns auch die heutigen Bilder von dem Heidelberger Autor und Künstler belmonte, von Elisabeth Singh-Noack und Michael Benz.
Klicken Sie auf die Fotos und sich direkt hinein in „Bildgeschichten ohne Worte“.
Michael Benz
Jahrgang 1961, bezeichnet sich selbst als „Tourist“: „Der Kamerasucher erlaubt mir unzählige Versionen der Welt“. Fotografiert seit seiner Kindheit. Seine Fotografien hat er in zahlreichen Einzel- und Gruppenaustellungen gezeigt.
belmonte, 1971 in Hamburg geboren, lebt in Heidelberg. Lyrik-Debütpreis 2008 des Pop-Verlag. Betreiber des Blogs VNICORNIS. Organisation des Preises der Heidelberger Autorinnen und Autoren. Co-Sprecher der Autorinnen und Autoren der UNESCO City of Literature Heidelberg und Mitglied im Dichterkollektiv KAMINA. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Magazinen (u.a. MATRIX, BAWÜLON, PASSAGEN – Magazin für Kunst und Literatur und TraduzioneTradizione).
Im Buchhandel erhältlich Junas Lob (Verlag Brot&Kunst) und Sitte und Sittlichkeit im ausgegangenen Jahrhundert, Versroman in zwölf Lektionen (Pop-Verlag).
Irgendwann lachen & lieben andere in unserer Stadt.
Eine satte Weile jedoch gehört sie uns.
© Claudia Schmid
Claudia Schmid schreibt Kriminelles, Historisches, Reiseberichte, Hörspiele und Theaterstücke. Sie lebt in der Nähe von Heidelberg. Neben ihren Büchern hat die Germanistin rund fünfzig Kurzgeschichten veröffentlicht und mehrere literarische Preise erhalten. Die Ehren-Kriminalkommissarin der Polizei Mannheim-Heidelberg ist zudem Redakteurin von Kriminetz.
Zur Homepage der Autorin. Lesen Sie auch ihr Gedicht in der druckfrischen Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.
24. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
„Das Schreiben in den Zeiten von Corona“ hat uns in den vergangenen Wochen durch mannigfaltige Wort- und Bildlandschaften geführt, eine poetische Reise mit Autoren und Künstlern, die nicht allein um Corona, sondern vor allem um das Leben kreiste. Und wie sehr das Schreiben selbst Leben ist, darum geht es in unseren heutigen Tagebucheinträgen: in einem wunderbaren Haiku von Wiebke Hartmann und in dem tiefgründigen Gedicht „Ich brauche“ von Olga Kovalenko. Auch unser Format „Poesie ohne Worte“ setzen wir heute fort: mit Bildern von den Autorinnen Barbara Imgrund, Astrid Arndt und Yokosandra – und nochmals mit Bildern vom Fotografen Michael Benz, der uns mit seinen tiefsinnigen und humorvollen Arbeiten in unserem Tagebuch vielfach begleitet hat.
Schreibend bei mir sein.
Buchstaben formen die Welt.
Ich kann sie löschen…
Lesen Sie weitere Texte von Wiebke Hartmann in unserem Tagebuch und in unserer Lese-Lounge.
Wiebke Hartmann geboren in Heidelberg, Studium der Ethnologie, Soziologie und Religionswissenschaft in Berlin. Lehrbeauftragte und Volkshochschuldozentin, Mitarbeiterin beim STERN, journalistische Arbeiten und zwei Reportagen für STERN-BUCH. Weiterbildung in Familientherapie. Systemische Familientherapeutin in Norwegen. Dort Publikation von journalistischen Arbeiten und Fachartikeln. Heute lebt sie teilweise in Schweden und in Heidelberg, sie publiziert weiterhin journalistisch, veröffentlicht literarische Arbeiten und ist Autorin eines Fachbuchs zum Thema Migration (Der Reisende ohne Schatten). Mitglied der Heidelberger LitOff seit 2015. Zur Homepage der Autorin
Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform und dichterisch anspruchsvoll. Traditionell bestehen sie aus drei Zeilen: Die 1. und 3. Zeile haben fünf, die 2. hat sieben Silben.
Ich brauche…
Ich brauche manchmal nur mich
und das Sonderlicht
des Erwachens,
dass im finsteren Dunkel bricht,
der singende Klang jemandes Lachen…
Ich brauche manchmal nichts
mehr als einen Augenblick zu haben,
in dem ich mich als Lehrer betrachten
kann, wie eine fremde Welt ohne sichtbare Grenzen;
einen seltsamen Weg mit den tausend möglichen Windungen
zeigend in die verschiedensten Richtungen
und allen möglichen Wenden;
eine unfertige raue Gestalt ohne Anhalt, die man zum Vollenden
bringen will;
und vielleicht noch, dass es still
ist
dass man endlich vergisst,
diesen Lärm der Verpflichtung.
Und ich brauche noch meine Dichtung,
die wie ein dünner Faden in jegliche Richtung
mich in die Ferne zieht und mich an die Freiheit bindet.
Die Muse, die alles lindert,
eines jeden einzelnen Schmerz,
und erschöpft dieses Netz
von strömenden Gedanken,
die in mir so fest verankern,
die wie eine Magie erstehen,
und im Chaos der Welt vergehen,
ohne eine Antwort zu finden,
wie die Vögel in jungen Linden,
in den fallenden Blättern der Wind;
dass man sich einfach die Zeit nimmt,
zum Betrachten,
zum Spüren,
zum Fühlen
für das Achten
auf die eigenen Gefühle
zum Erachten des Lebens,
das sich eben in jedem Begreifen
und Reifen
der einfachen Dingen versteckt,
im Antlitz der Einfachheit selbst…
— Aber es war erst
fünf Uhr
noch eine ganze Stunde
der Arbeit am langweiligen Tisch.
Das Papier lag durcheinander vermischt
und ich könnte nichts Nützliches finden
Kaffee könnte die Schlafsucht nicht lindern
nur die Zunge verbrennen.
Ich hörte das laute Reden
auf der Straße.
Ich hätte den Raum so gerne verlassen
aber es war erst fünf Uhr
eine Enttäuschung pur…
Ich brauche manchmal nur mich
© Olga Kovalenko
Olga Kovalenko
1986 in Kiew geboren, nach dem Bachelordiplom für Philologie, Übersetzen und Dolmetschen in der Ukraine, Medizinstudium in Heidelberg. Promotion 2017. Assistenzärztin am Universitätsklinikum Heidelberg. Zahlreiche literarische Veröffentlichungen (Prosa und Lyrik) auf Russisch, darunter das Buch Engel des Himmels. Seit sieben Jahren schreibt sie Lyrik und Prosa in deutscher Sprache. Veröffentlichungen u.a. in der Literaturzeitschrift BAWÜLON. Mitglied des Dichterkollektivs KAMINA. Diverse Auftritte im Rahmen des KAMINA-Dichterkreises, des Literaturherbst Heidelberg, bei der Nacht der Forschung. Aktiv auch für das Tikk Theater, Breidenbach Studio. Zuletzt entstand ihr Lyrikzyklus Nachtgedichte (rund 26 Gedichte). Besuchen Sie die Facebookseite der Autorin..
„Malerei ist eine stumme Poesie und die Poesie ist eine blinde Malerei.“
LEONARDO DA VINCI
Das Poetische braucht nicht immer Worte, es kennt unzählige Ausdrucksformen. „Das Schreiben in den Zeiten von Corona“ kann buchstäblich bildhaft und in dieser Bildhaftigkeit poetisch-narrativ sein. Das zeigen uns auch die heutigen Bilder von…
…den Autorinnen Barbara Imgrund und Astrid Arndt, deren wunderbaren Gedichte in diesem Tagebuch wir nochmals wärmstens empfehlen möchten.
…dem Fotografen Michael Benz, dessen Fotos, Tiefsinnigkeit und bisweilen schwarzer Humor dieses Tagebuch auch zuvor bereichert haben.
…der Autorin Yokosandra, für die Corona und Quarantäne kein poetisches Abstraktum, sondern vielmehr zur novellistischen Realität wurden. Erfahren Sie unten stehend mehr.
Klicken Sie auf die Fotos und sich direkt hinein in „Bildgeschichten ohne Worte“.
Yokosandra, 1976 geboren, lebt seit 2010 in Heidelberg. Sie hat Literaturwissenschaft studiert und schreibt Lyrik, Geschichten für Kinder, Schultheater, Kurzgeschichten und Anekdoten aus dem echten Leben auf Deutsch und Französisch. Sie leitet seit 2002 Schreibwerkstätten und unterrichtet an der Grundschule. Außerdem gestaltet sie Collagebilder und zeichnet gern. Für Yokosandra ist die Corona-Pandemie alles andere als ein Abstraktum aus Zahlen und Fernsehbildern: Sie hat aufgrund eines Corona-Falls in der Familie bewegende und bisweilen denkwürdige Erfahrungen in der Quarantäne-Isolation gemacht und diese in einem Blog aufgeschrieben. Ihre Erlebnisse lesen sich wie eine Novelle voller Höhe- und Wendepunkte.
23. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
„Schon hat diese Stadt in meinem Lebenslauf eine Schneise geschlagen“ (Sofie Steinfest): ein buchstäblicher „Worthimmel“ über unserer Literaturstadt Heidelberg erwartet Sie heute – mit zwei zauberhaften Gedichten von Gerhild Michel („Schöne Alte Brücke“) und Sofie Steinfest („Neckar – der Losstürmende“), die unsere Stadt, Neckar und Brücke poetisch hochleben lassen. Um Heidelberg, das „Schreiben in den Zeiten von Corona“, um Wort, Sinn und Bedeutung kreisen die visuellen „Duette“ des Konzeptkünstlers Peter Bösselmann, dessen Arbeiten an den Schnittstellen von Musik, Text, Foto und Video in Heidelberg immer wieder begeistern und neue Perspektiven eröffnen. Auch unsere Reihe „Poesie ohne Worte“ führen wir heute fort: mit Bildgeschichten vom Heidelberger Autor und Künstler Wilhelm Dreischulte.
Sofie Steinfest
in Wien geboren, ist Naturwissenschaftlerin (Zoologie) und Philosophin. Sie hat als Verhaltensforscherin mit einer Gruppe Neuweltaffen gearbeitet, für verschiedene NGOs und im Europäischen Parlament. Mit ihren drei Kindern lebt sie heute am Rande des Odenwalds, wobei ihr die mittlerweile erworbene therapeutische Ausbildung vorgeblich hilft. Sie arbeitet in Heidelberg, ist mit ihrem Lieblingsschriftsteller Heinrich Steinfest verheiratet und widmet sich mit ebensolcher Leidenschaft dem eigenen Schreiben, zuletzt dem Roman „Die Geburtsstunde der Donaustörung“ sowie einiger Kurzprosa und Lyrik. Seit 1996 erste Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien wie „Schreibkraft“, „DUM“, „Litopian“, „Pappelblatt“, „Lit:Us Fanzine“, „Theater Heidelberg“.
Lesen Sie ein weiters Gedicht von Sofie Steinfest in der druckfrischen Reihe Poesie unterwegs der UNESCO City of Literature Heidelberg.
Sehen Sie die Autorin auch in der Reihe Coronline des Rhein-Neckar-Fernsehens.
Foto © Robert Marcus Klump
Schöne Alte Brücke
Schöne Alte Brücke
mit deinen roten Sandsteinbögen
über dem grünen Wasser
mit den kleinen Strudeln
Viele Menschen hast du getragen
sie kamen und gingen
wie Zugvögel
angezogen von diesem Ort
am Ufer des Flusses
und der mächtigen Schlossruine
über den Dächern der Altstadt
Geht der Tag zu Ende
treffen sich hier Trinker
Träumer und Musikanten
Auf dein warmes Geländer
gelehnt schau‘ ich der Sonne zu
von Wolken umringt
sinkt sie langsam
Ins goldene Wasser
© Gerhild Michel
Gerhild Michel
geboren in Berlin, aufgewachsen in Heidelberg. Studium der Philosophie und Theaterwissenschaft in Wien, mehrjährige Theaterarbeit an verschiedenen deutschen Bühnen. Anschließend Studium der Pädagogik, seit 1975 im Lehramt in Heidelberg. Lehraufträge an der Päd. Hochschule Heidelberg mit dem Thema „Schüler schreiben Gedichte“. Lyrik-Veröffentlichungen in Zeitschriften, Anthologien und Gedichtbänden. Mitglied der GEDOK Heidelberg.
Zuletzt erschienen: Alles in den Augen. Gedichte (Edition Exemplum)
Zur Homepage der Autorin
Foto © Gerhild Michel
Peter Bösselmann
„Worthimmel über Heidelberg“
Für den Konzeptkünstler Peter Bösselmann hängt der Himmel über Heidelberg nicht voller Geigen, sondern voller Wörter. Diesen „Worthimmel über Heidelberg“ (Fotomontage, 100 x 80 cm, C-Print) konnte man in einer Ausstellung bereits bewundern: Durch ein im Raum aufgebautes Fernrohr ließen sich die „Sterne“ am nächtlichen Himmel als Worte lesen, und diese waren – jedes für sich – selbst wiederum Kunstwerke, die Peter Bösselmann mit seinem „HD_Generator“ erzeugt hatte.
Der HD_Generator
Scheibenpaar: links H-, rechts D-Worte
Foto © Peter Bösselmann
Der HD_Generator ist eine Wortkombinationsmaschine auf Basis des Heidelberger Autokennzeichens. Drehbare Scheiben sind paarweise so angeordnet, dass auf der linken Scheibe nur Begriffe zu finden sind, die auf „H“ enden, während die rechte Scheibe Begriffe versammelt, die mit „D“ beginnen. Dieser End- bzw. Anfangsbuchstabe ist bei den Begriffen auf den Drehscheiben jeweils weggelassen; zwischen den Scheiben befindet sich ein „HD“ als Koppel, welche die jeweils gegenüberliegenden Begriffe verbindet.
„Das Schreiben in den Zeiten von Corona“:
Peter Bösselmann hat mit dem HD_Generator für das „Multimediale Tage- und Skizzenbuch“ neue „Duette“ gestaltet.
Foto © Peter Bösselmann
Erfahren Sie mehr über Peter Bösselmanns Projekt PolyPhones
Peter Bösselmann
arbeitet in Heidelberg als Konzeptkünstler an den Schnittstellen von Musik, Text, Foto/Video und Performance. Ein bevorzugtes Material für seine Projekte ist die »Ressource Heidelberg«. Im Rahmen von Beschränkungen und Möglichkeiten der kleinen Stadt entstehen aus gewollt einfachen Ansätzen poetisch verdichtete Arbeiten, in denen sich Bild/Video, Text und Musik zu surrealen Blicken auf den Ort verbinden – zum Beispiel Portraits von Heidelberger Parkplätzen als abstrakte Wandinstallation oder Stadt-Fotografien, bei denen die Motivwahl auf der Basis konzeptueller Parameter erfolgt.
Aktuell arbeitet Peter Bösselmann an dem Video »Sieben Ansichten des Kôsô Entotsu«, einem »Heidelberg/Hokusai-Projekt«, das sich von einer Holzschnitt-Serie Hokusais zu einem speziellen Blick auf Heidelberg inspirieren lässt.
Durch die Corona-Einschränkungen liegen die Entotsu-Dreharbeiten brach – Zeit für das dokumentarische Projekt „Corona Skies“, das Himmel-Fotografien aus der Tageszeitung versammelt. Und für „PolyPhones„, ein Projekt mit der Beteiligung vieler Stimmen in vielen Sprachen: Alle Beteiligten sprechen für PolyPhones den gleichen (übersetzten) Text mit ihrem Smartphone ein; die Aufnahmen werden von Peter Bösselmann zu einer polyglotten Sound-Collage komponiert.
Zur Homepage
„Malerei ist eine stumme Poesie und die Poesie ist eine blinde Malerei.“
LEONARDO DA VINCI
Das Poetische braucht nicht immer Worte, es kennt unzählige Ausdrucksformen. „Das Schreiben in den Zeiten von Corona“ kann buchstäblich bildhaft und in dieser Bildhaftigkeit poetisch-narrativ sein. Das zeigen uns heute die Bilder vom Heidelberger Autor und Künstler Wilhelm Dreischulte: das Corona-Virus als rattenähnliches Wesen – eine Reminiszenz an die Pestratte. Die Bilder sind überwiegend mit einem Brandmalkolben zumeist auf Pappelsperrholz entstanden.
Klicken Sie auf die Fotos und sich direkt hinein in „Bildgeschichten ohne Worte“.
Wilhelm Dreischulte
1965 in Haselünne/Emsland geboren. Seit 2001 Mitglied der LiteraturOffensive Heidelberg und beteiligt sich rege an Lesungen, Radiosendungen und Literaturaktionen. Neben vielen Beiträgen in Anthologien der LitOff ist 2009 „Fremdes Brot“ (Leseprobe) im Lothar-Seidler-Verlag erschienen und „Wir wollen nicht auf der Straße leben“ 2013 im Machandel-Verlag. Schreiben, Malen, Bildhauerei sind ihm gleichwertige Anliegen.
22. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Was ist es, das uns – ganz gleich ob als Schreibender oder als Leser – an Literatur begeistert: Es ist die Macht der Fantasie, die Entdeckung des Unterbewussten, „das Wandern in ferne Welten“, wie es einst Jean Paul formulierte. Marlene Bach liest für Sie heute eine berührende Kurzgeschichte über einen nur vermeintlichen Anti-Helden, in der sich Bewusstsein und Unterbewusstsein, Realität und Traum vermischen. Heide-Marie Lauterer hat ebenfalls eine berührende Geschichte geschrieben, die Sie in unserer Lese-Lounge finden: „Auferstehung“ liest sich wie ein Hymnus auf die Macht der Lyrik – reflektiert in Versen von Marie Luise Kaschnitz „Manchmal stehen wir auf / Stehen wir zur Auferstehung auf / Mitten am Tag / Mit unserem lebendigen Haar / Mit unserer atmenden Haut.“ Lyrisch reflektiert Heide-Marie Lauterer auch „Das Schreiben in den Zeiten von Corona“ in ihrem Gedicht „Wie immer“.
Die Autorin Marlene Bach liest für Sie ihre berührende Kurzgeschichte „Würstchenträume“.
Marlene Bach wurde 1961 in Rheydt geboren und wuchs nahe der niederländischen Grenze auf. 1997 zog die promovierte Psychologin nach Heidelberg. Hier begann sie, Kriminalromane und Kurzgeschichten zu schreiben. Für eine dieser Geschichten erhielt sie den Walter-Kempowski-Literaturpreis (2011). Unter dem Titel Samtschwarz ist im März ihr siebter Kriminalroman erschienen. Lesen Sie die Pressestimmen zu ihrem neuen Roman und hören Sie eine Leseprobe. Zur Homepage der Autorin
Wie immer
In diesem Frühling ist nichts wie immer.
Die würzig-reine Luft am Morgen
Wenn ich barfüßig zum Briefkasten eile
Völlig ungewohnt
Statt der frohen Botschaft
Nur Zahlen über Zahlen und
Eine Kurve ohne Ende.
Der Täuberich, der im blühenden Apfelbaum auf die Taube flattert.
Es gibt wieder Maikäfer
Und
Nachts tanzen die Motten um die Straßenlaterne.
Wirklich, nichts ist in diesem Frühling wie immer.
Auch nicht der langweilig streifenlose Himmel ohne Netz und doppelten Boden.
Wo bist du, WIE IMMER, rufe ich verzweifelt.
Im Winde raschelt das Laub,
der Täuberich verlässt die Taube.
Nach der Tageschau
sagt mein Mann,
Lese ich dein Gedicht.
© Heide-Marie Lauterer
Dr. Heide-Marie Lauterer ist 1952 in Heidelberg geboren. Studium der Germanistik und Geschichte; Gymnasiallehrerin, Historikerin, zuletzt bei der Max-Weber-Edition an der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Nach zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen schreibt sie Romane, Geschichten und Reiterkrimis. Ihre Kurz-Geschichten sind in verschiedenen Anthologien sowie dem Band Irre Geschichten abgedruckt. Sie ist Mitglied der Mörderischen Schwestern, der Heidelberger Autorenvereinigung Litoff und dem Heidelberger Textsalon. Zuletzt erschienen ist ihr Roman Das Bestsellerprojekt
Lesen Sie „Auferstehung“ in der Lese-Lounge
21. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
„Das Schreiben in den Zeiten von Corona“: An den finalen Tagen unseres „Tage- und Skizzenbuchs“ wenden wir den Blick nun mehr und mehr auch auf das Schreiben selbst – mit täglich neuen Texten, Reflexionen und wunderbaren Bekenntnissen von Heidelberger Autoren. Ein solches poetisches „Bekenntnis“ gibt uns heute Elisabeth Singh-Noack: Schreiben als Dialog mit sich und der Welt, als Bewegung, niemals als Stillstand, immer fortdrängend, jedoch ohne dabei den Zauber des Moments zu versäumen.
Heute setzen wir auch unser Format „Poesie ohne Worte“ fort, das uns in den nächsten Tagen weiterhin begleiten wird. – Und so viel sei verraten: Auf den letzten Seiten unseres „Tage- und Skizzenbuchs“ erwarten Sie u.a. tolle Lesungen von Heidelberger Autoren, und auch unsere Literaturstadt – „der Vaterlandsstädte Ländlichschönste“, wie es bei Hölderlin heißt – rückt nochmals ins Zentrum poetischer Betrachtungen.
In bester Gesellschaft
Ich kann mit mir lachen
(wir teilen denselben Humor)
und neue Ideen feiern.
Ich tanze mit meiner
Leidenschaft
und schlüpfe in verschiedene
Rollen.
Der Kanon klingt stimmig,
harmonisch der Refrain meines
Gesangs.
Und in anregendes Gespräch
vertieft,
entdecke ich neue
Perspektiven.
Ich halte Schritt mit mir
in der Bewegung durch Zeit
und Raum und spaziere
bewusst nie allein
(ich habe mich immer dabei).
Lange weile,
betrachte, denke, dichte ich
und finde mittendrin mich
an der Quelle der Inspiration.
© Elisabeth Singh-Noack
Elisabeth Singh-Noack
1961 in Hamburg geboren, schreibt seit ihrem 16. Lebensjahr Gedichte, später auch Kurzprosa, Szenen sowie Haikus. Sie studierte Indologie, lebte und wirkte lange in Indien, Portugal und an vielen Orten Deutschlands zwischen Alster und Chiemsee, hat drei Kinder in die Lebenskunst eingeführt und unterstützt Menschen in schwierigen Lebensphasen. Seit 2005 wohnt sie vorwiegend in Dossenheim und ist Mitglied der Literatur-Offensive Heidelberg. Ihre Texte erscheinen in Anthologien, in Hörspiel, Internet und bei anderen Projekten. Am liebsten berauscht sie sich an Natur, Dichtung und Klang. Im Jahr 2020 soll im Lothar Seidler Verlag ein Buch mit Lyrik erscheinen. Lesen Sie ein weiteres Gedicht der Autorin aus der Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.
Foto © privat
„Malerei ist eine stumme Poesie und die Poesie ist eine blinde Malerei.“
LEONARDO DA VINCI
Das Poetische braucht nicht immer Worte, es kennt unzählige Ausdrucksformen. „Das Schreiben in den Zeiten von Corona“ kann buchstäblich bildhaft und in dieser Bildhaftigkeit poetisch-narrativ sein. Das zeigen uns heute nochmals Fotos von Michael Benz, die Titel tragen wie „Endlich: Virus isoliert“ oder „ausgesorgt“.
Klicken Sie auf die Fotos und sich direkt hinein in „Bildgeschichten ohne Worte“.
Michael Benz, Jahrgang 1961, bezeichnet sich selbst als „Tourist“: „Der Kamerasucher erlaubt mir unzählige Versionen der Welt“. Fotografiert seit seiner Kindheit. Seine Fotografien hat er in zahlreichen Einzel- und Gruppenaustellungen gezeigt.
20. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Heute beginnt die finale Woche unseres „Multimedialen Tage- und Skizzenbuchs von Heidelberger Autoren“. Heute beginnen auch die ersten so genannten Maßnahmen-Lockerungen – in Heidelberg und vielen anderen Städten Deutschlands. Wie anders sich das „alltägliche“ Leben im Zeichen des „Lockdown“ und „Social Distancing“ (noch immer) anfühlt, spiegelt sich in den heutigen Texten: wie „in einem Schuhkarton“, heißt es in dem wunderbaren Gedicht Nebel von Astrid Arndt, „die Stadt verpackt wie in Seidenpapier“; Olga Kovalenko schreibt in ihrem „Literarischen Gedankenfluss“ Distanz über die „tägliche Trägheit der Seele“ – „disconnected“ – und das „Verschlucken der Gedanken“.
Nebel
Die Stadt liegt heut im Schuhkarton
Dort hinterm Berg hört die Welt auf
In Seidenpapier gehüllt träumt das Schloss
Vom Waldbodenduft vergangener Tage
Vogelgezwitscher – in Zimmerlautstärke
© Astrid Arndt
Astrid Arndt
in München geboren, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Hagen und Gesang mit Schwerpunkt Neue Musik in Detmold. Arbeitete als wissenschaftliche Autorin, als Musikjournalistin und als Lehrbeauftragte für Sprecherziehung und Medien an der Universität Bielefeld. Wissenschaftliche Veröffentlichungen u.a. über Kafka, Kleist und Arno Schmidt. Zuletzt erschien ihr Jugendbuch Die gläserne Seite im Draupadi-Verlag. Mitglied im Autorennetzwerk Heidelberg, HD-Textsalon und Heidelberger Literaturnetz. Neben literarischen Lesungen (Heidelberger Literaturtage, DAI, Bermudafunk) hält sie multimediale Workshops zu Hörbüchern und Biographischem Schreiben in der Metropolregion Rhein-Neckar. Zur Facebookseite der Autorin.
Foto © privat
DISTANZ. Ein Nachmittag.
Ein literarischer Gedankenfluss
Disability. Disconnection. Disposition
Disponibile. – Non Sono disponibile. Chiamami piu tardi.
Interessant. Innovativ sah die Welt da draußen aus. Integrieren muss man, will man, kann man? Interagieren muss man. Irreversibilität ist ein illusionärer Irrtum des Irrealen. Infolge: Interaktion ist irreal.
Sucht. Die Zeit ist die Sucht. Sehnsüchtiges Streben nach all dem Vergangenem und Verflogenem. Schwammiger Stolz stieß gegen die Wand der unüberwindbaren Vergesslichkeit.
Tausende Töne trommeln tapfer an der traurigen Täuschung der Tauglichkeit. In den tiefsten Träumen tauchte die tägliche Trägheit der Seele.
Abgrund. Abriss. Abbruch. Abstinenz deiner Nähe. Ein abartig klebriges Gummiband. Ich zog an einem Ende und wurde an das andere kräftig herangezogen – zurück zu den nicht Existierenden, in die schwarze Hole der Abwesenheit. Ahnungslosigkeit angelte andauernd andere Eindrücke und verschluckte meine Gedanken.
Disponibile.
Disposition. Disintegrity. Distraction. Dispersion.
Distanz.
© Olga Kovalenko
Olga Kovalenko
1986 in Kiew geboren, nach dem Bachelordiplom für Philologie, Übersetzen und Dolmetschen in der Ukraine, Medizinstudium in Heidelberg. Promotion 2017. Assistenzärztin am Universitätsklinikum Heidelberg. Zahlreiche literarische Veröffentlichungen (Prosa und Lyrik) auf Russisch, darunter das Buch Engel des Himmels. Seit sieben Jahren schreibt sie Lyrik und Prosa in deutscher Sprache. Veröffentlichungen u.a. in der Literaturzeitschrift BAWÜLON. Mitglied des Dichterkollektivs KAMINA. Diverse Auftritte im Rahmen des KAMINA-Dichterkreises, des Literaturherbst Heidelberg, bei der Nacht der Forschung. Aktiv auch für das Tikk Theater, Breidenbach Studio. Zuletzt entstand ihr Lyrikzyklus Nachtgedichte (rund 26 Gedichte). Besuchen Sie die Facebookseite der Autorin..
19. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Viele vermissen in diesen Tagen die „Leichtigkeit des Seins“. Es gibt einen Bereich, den das „Social Distancing“ nicht berührt: die Natur. Wunderbare Gedichte von Elisabeth Singh-Noack, Gertrud Edelmann und Barbara Imgrund haben uns in diesem „Tagebuch“ bereits eine Natur gezeichnet, die uns nicht nur staunen, sondern die Leichtigkeit des Seins wieder fühlen lässt. Und diese Leichtigkeit wollen wir auch heute – Corona zum Trotz – nochmals feiern: mit einem Poetryfilm zu einem Text von Loma Eppendorf, einer unvergessenen Autorin, und dem „Frühlingsball“ von Elisabeth Pfeiffer.
Besuchen Sie auch unsere Lese-Lounge, die wir seit gestern für Sie geöffnet haben: ein digitaler Raum zum Verweilen, ein „Buch im Tagebuch“ und eine virtuelle Lesebühne. – Und noch eine redaktionelle Notiz: Herzlichen Glückwünsch, Sofie Steinfest und Andrea Willig, zur Shortlist-Nominierung für den Preis der Heidelberger Autorinnen und Autoren!
Loma Eppendorf, geboren 1919 in Hamburg, lebte seit 1954 in der Rhein-Neckar-Region. „Mit der Sprache zu arbeiten“, sagte sie, „bedeutet für mich, ihren Wohlklang mit der Präzision des Ausdrucks in Einklang zu bringen. So wird die Aussage glaubwürdig, Sprache verdichtet. Ein lebenslanges Bemühen.“ Sie schrieb Bücher und Beiträge für verschiedene Anthologien, Zeitschriften und Zeitungen. Mit 92 Jahren veröffentlichte sie ihren Lyrikband „Unter herbstlichen Sternen“, aus welchem das Gedicht „Herbst am Teich“ stammt. Sie starb im Jahr 2016. Ihre Lyrik und Texte sind unvergessen.
Auf dem Frühlingsball
Kirschbaumdamen im gerafften barocken Ballkleid
Begrüßen mit leichtem Knicks die Ankommenden
In der Auffahrt zu Schloss Kraichgau
Birkenladys im zartgrünen Seidengewand
Bewegen sich sanft zur Windharfe und
Reichen mir einen Begrüßungscocktail
Apfelbäumchen in rosa-weißen Tutus
Springen graziös in den Saal
Fassen sich an Astärmchen bilden Reihen und Grüppchen
Drehen Pirouetten vor dem begeisterten Publikum
Applaus
Ein Buchenherr im zartgrünen Samtfrack
Tritt auf mich zu „Darf ich bitten?“
Wir wiegen uns zu den Walzerklängen
Des Frühlingshimmelsorchesters
© Elisabeth Pfeiffer
Elisabeth Pfeiffer
1961 geboren, Lebensorte Rom, Speyer, St.Märgen; Studium der Volkswirtschaftslehre und Psychologie. Office Managerin Hörakustik, freiberufliche Theaterpädagogin. Mitglied in der Autorengruppe Spira. Beiträge in Anthologien verschiedener Autorengruppen, zuletzt in angerichtet und aufgetischt der Literatur-Offensive Heidelberg.
18. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Pünktlich zum – hoffentlich vorletzten – Wochenende im Zeichen des „Social Distancing“ öffnen wir unsere Lese-Lounge: ein digitaler Raum zum Verweilen, ein Buch im „Tage- und Skizzenbuch“ und zugleich eine virtuelle Lesebühne. Die Lese-Lounge ist heute und zukünftig für längere Texte von Heidelberger Autoren gedacht. Zugleich finden sich darin aber auch alle neuen wie älteren Audio- und Videolesungen aus dem „Multimedialen Tage- und Skizzenbuch von Heidelberger Autoren“. Für dieses Wochenende haben wir ein literarisches Rundum-Paket geschnürt.
In unserer Lese-Lounge kann man es sich – mit nur einem Klick – gemütlich machen. Hören Sie nochmals Audio- und Video-Lesungen von Marlene Bach, Marion Tauschwitz, Bella Bender, Sofie Steinfest und Barbara Imgrund. Und entdecken Sie neue Texte von Wiebke Hartmann, Gerhard Drokur und Rebecca Netzel, hören Sie eine Lesung der Kriminal-Autorin und Ehren-Kriminalkommissarin der Polizei Mannheim-Heidelberg Claudia Schmid.
Wiebke Hartmann hat in den vergangenen Wochen des „Social Distancing“ ihren Blick schweifen lassen und teilt mit uns ihre Eindrücke von einer Gesellschaft, die mit Beschränkungen umzugehen versucht. Lesen Sie Ihren Text „Kesseldruck“.
Gerhard Drokur schildert in seinem Text „Die Hamster-Wette“ Erfahrungen, die vielen nur allzu vertraut anmuten: leere Regale in den Supermärkten, Hamster-Käufe und der gänzliche Ausverkauf von Produkten, denen man vor der Corona-Pandemie nur wenig existentielle Bedeutung zumaß.
Rebecca Netzel geht es in ihrem munteren Gedicht vor allem um eines: Optimismus, Dankbarkeit und Gemeinschaftssinn.
Wenn Agatha Christie Sorgen plagten oder sie nicht schlafen konnte, polierte sie Gläser. Claudia Schmid sagt, dass ihr in den Zeiten von Covid-19 noch nicht der Sinn für Humor abhanden gekommen sei. Statt Gläser zu polieren, arbeitet sie an den nächsten zwei Bänden ihrer Reihe „Mörderische Bergstraße“ und liest Ihnen heute daraus vor.
17. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Noch einmal wenden wir den Blick auf das, womit uns die Corona-Pandemie unmittelbar konfrontiert: Vergänglichkeit, Verlust und Abschied. Heute teilt Adriana Carcu mit uns ihr berührendes Gedicht „Stasis“.
Überdies hat ein neues Format in unser „Multimediales Tage- und Skizzenbuch“ Einzug gehalten, das uns auch in Zukunft begleiten wird: „Poesie ohne Worte“.
Stasis
Die Antlitze der Vermissten besuchen mich nachts,
Einige nehmen meine Hand zu ihrer Schläfe,
um zu fühlen, ob sie noch Fieber haben.
Andere schauen nach unten wie in einem Buch,
das ihre Lebensgeschichte erzählt,
Und andere scheinen langsame,
sich nähernde Schritte zu hören.
Die Gesichter meiner weggegangenen Freunde
besuchen mich nachts,
Einige erzählen mir ausführlich,
wie sich Entsagung anfühlt,
Andere umgeben mich mit ihren Armen,
um mich vor Illusionen zu schützen
Und andere laßen mich
meinen Kopf auf ihre durchsichtige Schulter legen.
Es ist der Ort, von dem aus man am besten die Ewigkeit betrachten kann.
© Adriana Carcu
Adriana Carcu ist eine internationale Journalistin und Autorin, kuratiert Kunstaustellungen mit deutschen und rumänischen Künstlern und unterrichtet seit 2007 Englisch und Rumänisch an der Volkshochschule Heidelberg. Sie wurde im rumänischen Temeschwar geboren und lebt seit 1988 in Heidelberg. Sie hat englische Literatur und Zivilisation studiert und mit einer Arbeit über „Human Nature and Human Condition in the Works of Henry James” abgeschlossen. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter Interview des Jahres mit Künstler Valeriu Sepi (Die Geschichte unserer Tage). Eine sentimentale Chronik war als Bestes Buch des Jahres (Gala für herausragende Verlagsneuerscheinungen) nominiert. Adriana Carcu ist Mitglied u.a. im Rumänischen Schriftsteller Verein, Exil P.E.N international, GEDOK Heidelberg. Zuletzt erschienen von ihr Golden (Pop-Epik), aus dem auch das Gedicht Im Vorübergehen stammt, und Das Lied aus dem Norden. Zur Homepage und Facebook-Seite der Autorin.
„Malerei ist eine stumme Poesie und die Poesie ist eine blinde Malerei.“
LEONARDO DA VINCI
Das Poetische braucht nicht immer Worte, es kennt unzählige Ausdrucksformen. „Das Schreiben in den Zeiten von Corona“ kann buchstäblich bildhaft und in dieser Bildhaftigkeit poetisch-narrativ sein. Das zeigen uns heute die Fotos von Michael Benz, die die Titel tragen „Genügend Zeit zur Selbstbetrachtung“, „Isolation“, „Kleines bremst Großes“, „Widerstand“ und „abwarten“.
Klicken Sie auf die Fotos und sich direkt hinein in „Bildgeschichten ohne Worte“.
Michael Benz, Jahrgang 1961, bezeichnet sich selbst als „Tourist“: „Der Kamerasucher erlaubt mir unzählige Versionen der Welt“. Fotografiert seit seiner Kindheit. Seine Fotografien hat er in zahlreichen Einzel- und Gruppenaustellungen gezeigt.
16. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Nach den gestrigen Tagebucheinträgen soll es auch heute Raum geben für jene Eindrücke und Bilder der vergangenen Pandemie-Wochen, die uns im Grunde verstummen lassen. Der Heidelberger Autor Anton Ottmann hat sich „Gedanken zu Tod und Glück in den Zeiten von Corona“ gemacht, die sich poetisch zu drängenden Fragen verdichten.
Wie mit diesen Fragen umgehen? Gertrud Edelmanns Gedicht lässt sich als lyrische Antwort lesen und führt uns direkt auf „Obstwiesen“.
Anton Ottmann Autor und freier Journalist. Autor von Kurzgeschichten, Dialogen und Gedichten, Veröffentlichungen mehrerer literarischer Bücher und von mathematischem Unterrichtsmaterial. Mitglied des Autorennetzwerk Heidelberg.
Zur Homepage des Autors.
Gedanken zu Tod und Glück in den Zeiten von Corona
Was bleibt von mir?
Eine Handvoll Erde,
ein gepflanzter Baum,
tote Fotos voller Leben.
Ein paar Taten und Gedanken,
die nach und nach verblassen.
Am Ende geht selbst die Ahnung,
dass da ein Mensch gewesen.
Wer ist glücklich?
Der für den nächsten Tag lebt
und jeden Hunger stillt?
Der Großes schafft
und Beifall sucht?
Der die kleinen Dinge liebt
und Menschen mag?
Wer ist unglücklich?
Wer nur erwartet
und nichts geben will?
Wer nicht geliebt wird
und nicht lieben will?
Wer in sich selbst versinkt
und dies nicht ändern will?
© Anton Ottmann
Thomas Mann sagte: „Ich bin ein Mensch des Gleichgewichts. Ich lehne mich instinktiv nach links, wenn der Kahn rechts zu kentern droht – und umgekehrt.“ So ist Getrud Edelmanns Gedicht „Auf den Obstwiesen“ eine wunderbare Metapher für das Gleichgewicht, das uns vielleicht doch letztlich nur „fester wurzeln lässt.“
Auf den Obstwiesen
Wenn der Wind in die Bäume greift
und sie schüttelt und rüttelt,
sie an den Wipfeln zieht,
dann gehen sie ein Stück mit ihm,
bleiben nicht starr und hart,
sondern wiegen sich in ihm,
lassen ihn sein Spiel treiben
und wenn er sie nicht umwirft,
werden sie nur stärker,
verwurzelt in der Erde.
© Gertrud Edelmann
Gertrud Edelmann
1961 im hessischen Odenwald geboren und dort aufgewachsen, studierte Germanistik und Theologie in Marburg und Heidelberg, wo sie seit 1981 lebt. Sie war in Sprachinstituten, bei der Zeitung und im Buchhandel tätig und legte die Abschlussprüfung für das Fach Ethik an der Universität Gießen ab. Seit 1991 übt sie ihren Beruf als Gymnasiallehrerin aus. Sie ist. Mitglied in der Autorengruppe „city of literature“, Heidelberg.
Zuletzt erschienen Sonnensegel. Gedichte im Draupadi Verlag.
Lesen Sie ein weiteres Gedicht der Autorin aus der Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.
Foto © Kirsten Bews
15. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Heute und morgen öffnet sich das Tagebuch all jenen Eindrücken, Bildern und zuweilen Erlebnissen während der vergangenen Pandemie-Wochen, die im Grunde verstummen lassen. Mit seinem Gedicht „Blick“ macht Marcus Schiltenwolf dies auf eindrückliche Weise poetisch fühlbar. Der Heidelberger Autor belmonte wählt die bewusste Überzeichnung ins Grotesk-Morbide. Dazwischen zwei Haikus von Hannelore Gerent: kleine Inseln der Stille.
Marcus Schiltenwolf
Arzt am Uniklinikum, seit 1987 in Heidelberg, verheiratet, 3 Kinder. Lyrik seit der Schulzeit, im Nebenfach, neben der Arbeit am Klinikum. „Ich richte mich ein zwischen allen Stühlen.“ Lyrikpreis der Stadt Mannheim 1995.
Blick
Das Feuchte im Auge
regt sich wund
verkrampft den sonnenhellen Blick
dass ich nicht mehr hinschauen mag
den Kopf in den Schatten senke
denn ich kann es nicht ertragen.
© Marcus Schiltenwolf
Für die Autorin Hannelore Gerent ist das Haiku, wie sie sagt, die ideale Ausdrucksform. Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Weg auch nach Deutschland fand. Rainer Maria Rilke sah in dieser weltweit kürzesten Gedichtform „einen neuen und wertvollen Bewußtseinsinhalt“. Haikus zu schreiben, ist dichterisch anspruchsvoll. Traditionell bestehen sie aus drei Zeilen: Die 1. und 3. Zeile haben fünf, die 2. hat sieben Silben. Diese Kürze verlangt eine komprimierte Sprachdichte, zugleich sollen Haikus vielschichtige, antithetische oder symbolische Aussage enthalten. Die Texte sollen sich im Erleben des Lesers vervollständigen.
Am Rand ist’s einsam.
Aber am Rand sieht man viel.
Mehr als mittendrin.
Gar nichts bezwecken,
gar nichts wollen, einfach nur
gehen und sehen.
Hannelore Gerent
geb. in Stuttgart. Studium Kunst und Grafik-Design (Dipl.-Designerin). Werbegrafik, freie Grafik/Ausstellungen. Veröffentlichungen von Comics und Sketchen im Simplicissimus und in Büchern. Im Haiku fand sie ihre ideale Ausdrucksform, weil sie darin geübt ist, die Dinge auf den Punkt zu bringen. In Wort und Bild. Mitglied der LitOff und des Autorennetzwerk Heidelberg.
Im Buchhandel erhältlich: ZARTE FAUSTSCHLÄGE, Haikus für alle Fälle, mit vielen farbigen Abbildungen, 256 Seiten.
Der Heidelberger Autor belmonte sucht die bewusste Überzeichnung ins Morbide-Groteske. Ergänzt durch seinen Linolschnitt „Tanzende Mänade“ – Mainades (von μανία maníā, „Raserei, Wahnsinn“).
Tanzende Mänade | Linoldruck, 2006 | © belmonte
der fuß
im anfang war der gestank
und der gestank war eklig
und eklig war der gestank
derselbe war im anfang eklig
und es war alles faul
und die luft war faul
und die erde war faul und war morast und vergammelung
und die fäulnis kroch in alle ritzen und löcher
und verwesung und dünste wehten in alle richtungen
und alles war faule ausscheidung aus dem ewigen ausfluss
und alles war auswurf
der sich in moder zersetzte
und in eitrige pest aufstieg
und der gestank sprach
– es werde fuß
da formte sich aus dem morast eine ferse
und eine hacke drang aus dem ekligen moder hervor
und die sohle wölbte sich darunter
und der ganze fuß spannte sich und zog seine zehen aus der vergammelten erde
und war nur durch einen knöchel verbunden
und rutschte hin und her auf dem schmierigen grund
also schuf der gestank den fuß nach seinem bilde
und der gestank segnete den fuß und ruhte sich aus in seinem ekel
© belmonte
belmonte, 1971 in Hamburg geboren, lebt in Heidelberg. Lyrik-Debütpreis 2008 des Pop-Verlag. Betreiber des Blogs VNICORNIS. Organisation des Preises der Heidelberger Autorinnen und Autoren. Co-Sprecher der Autorinnen und Autoren der UNESCO City of Literature Heidelberg und Mitglied im Dichterkollektiv KAMINA. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Magazinen (u.a. MATRIX, BAWÜLON, PASSAGEN – Magazin für Kunst und Literatur und TraduzioneTradizione).
Im Buchhandel erhältlich Junas Lob (Verlag Brot&Kunst) und Sitte und Sittlichkeit im ausgegangenen Jahrhundert, Versroman in zwölf Lektionen (Pop-Verlag).
14. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Werden uns die Wochen des „Social Distancing“, das unmittelbare Erleben einer weltweiten Krise in unserer individuellen Lebenswirklichkeit und auch als Gesellschaft dauerhaft verändern? – Auf den heutigen Seiten unseres „Multimedialen Tage- und Skizzenbuchs“ nähern sich zwei Heidelberger Autorinnen diesen Fragen an.
„Ich werde nicht einen Tag Freude versäumen…“
Barbara Imgrund liest für Sie ihr Gedicht „Trotzdem“
Barbara Imgrunds Gedicht „Trotzdem“ ist ein Lobgesang auf das Leben, das sich – allen Krisen, Widrigkeiten und Schicksalsschlägen zum buchstäblichen Trotz – immer wieder neu behauptet.
Barbara Imgrund
Im Allgäu aufgewachsen, in München Germanistik studiert und in verschiedenen renommierten Verlagen das Lektorenhandwerk gelernt. Seit 1998 arbeitet sie frei als Übersetzerin und Autorin. Ehrenamtlich engagiert sie sich im Tierschutz, im Hospiz- und Besuchshundedienst. Die dabei gesammelten Erfahrungen verarbeitet sie in ihren Romanen: So schreibt sie mit Vorliebe erfundene Geschichten aus dem wahren Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Seit 2000 lebt und arbeitet sie in Heidelberg. Erschienen sind von der Autorin Das Glück des Schmetterlings beim Fliegen, Sonnenblumenblues, FreakOut und Wild Woman. Besuchen Sie die Homepage und die Facebook-Seite der Autorin.
Gerade noch war das Leben Alltag –
voller Freude und Ereignisse
voller Fülle und Aufgaben
aber auch voller Hetze und Eile,
Intoleranz und Unachtsamkeit,
Verschwendungssucht und Ignoranz.
Gerade noch war alles wie es immer war:
verfügbar, planmäßig, steuerbar.
Und plötzlich gerät unsere Welt aus den Fugen.
Da sitzen wir nun in unserem Kokon
aus Einsamkeit und Langeweile.
Gefangen zwischen Angst und Hoffnung,
Ohnmacht und Hilflosigkeit –
Um uns herum spielt ein Film,
in dem wir unfreiwillig die Hauptdarsteller sind.
Doch langsam, ganz langsam zeigt sich etwas ganz Zauberhaftes:
Wir beginnen neben all dem Elend
etwas Gutes darin zu sehen:
Zeit für die, die wirklich wichtig sind.
Die Natur holt sich ihr Recht zurück.
In den Flüssen schwimmen wieder Fische.
Die Luft ist wieder klar.
Das Leben geht weiter und
die Sterne funkeln uns ihr ewiges Licht.
Die Erde gibt uns vielleicht eine zweite Chance
Und ich bete darum, dass wir sie ergreifen,
dass wir etwas mitnehmen aus dieser schweren Zeit.
Etwas mehr Menschlichkeit.
Mitgefühl mit den Alten und Schwachen.
Wertschätzung dessen, was im Leben wichtig ist
und derer, die es uns zu erhalten helfen.
Gerade noch war das Leben Alltag
und den wünschen sich viele zurück.
Doch hinter dem Tor von Schmerz, Angst und Trauer
könnte etwas Neues auf uns warten.
Etwas Besseres vielleicht, etwas Tieferes.
Etwas mehr Verbindlichkeit und Besinnung.
Ewas mehr von der Freude und den schönen Ereignissen
und etwas weniger Hetze und Eile.
Wenn wir es zulassen.
Diese Welt, das sind wir. Wir alle zusammen.
Wir müssen es nur begreifen.
Ariana Nero ist promovierte Germanistin, Kunsthistorikerin und Psychotherapeutin HP. Sie war in den Bereichen Journalismus, Public Relations und Marketing tätig, bevor sie sich als Psycho- und Hypnotherapeutin mit Schwerpunkt Burnout in eigener Praxis niederließ.
Nach Kurzgeschichten, Lyrik, Fachartikeln erschien 2019 ihr Heidelberger Debutroman Kuckucksbrüder als Taschenbuch und eBook. Ihr zweiter Roman Hundshochzeit ist voraussichtlich ab Mai 2020 im Handel erhältlich.
Zur Homepage der Autorin.
13. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Viele erleben die Tage des „Lockdown“ ähnlich Thomas Manns Romanfigur Hans Castorp den Aufenthalt auf dem »Zauberberg«: als ein „stehendes Jetzt“, das ein anderes Zeitempfinden und eine Entfremdung von der alltäglichen Welt mit sich bringt. Die Heidelberger Autorin Elisabeth Singh-Noack erinnert daran, dass in solchen Tagen der „Entschleunigung“ letztlich vor allem Möglichkeiten liegen: zur „Einkehr, Abkehr, Umkehr“ und zu einer neuen Achtsamkeit.
Entschleunigung –
Zeit der Achtsamkeit
Selbstfürsorge
Entgiftung
Kreativität
Improvisation
Ideen
Zeremonien
Einkehr
Abkehr
Umkehr
Wiederkehr
Empathie
Solidarität
des Feng Shui
der Gedanken
Handlungen
und Gewohnheiten –
Lebenskunst
In ihrer Lyrik geht es Elisabeth Singh-Noack immer wieder um die besonderen Momentaufnahmen, um Erlebnisse und Entdeckungen, vor allem in der Natur, die uns innehalten lassen – etwa das Geräusch von Schnee unter den Füßen und der Spaziergang durch eine stille Winterlandschaft. Sehen Sie den Poetryfilm zu ihrem Gedicht „Frieden“.
Elisabeth Singh-Noack, 1961 in Hamburg geboren, schreibt seit ihrem 16. Lebensjahr Gedichte, später auch Kurzprosa, Szenen sowie Haikus. Sie studierte Indologie, lebte und wirkte lange in Indien, Portugal und an vielen Orten Deutschlands zwischen Alster und Chiemsee, hat drei Kinder in die Lebenskunst eingeführt und unterstützt Menschen in schwierigen Lebensphasen. Seit 2005 wohnt sie vorwiegend in Dossenheim und ist Mitglied der Literatur-Offensive Heidelberg. Ihre Texte erscheinen in Anthologien, in Hörspiel, Internet und bei anderen Projekten. Am liebsten berauscht sie sich an Natur, Dichtung und Klang. Im Jahr 2020 soll im Lothar Seidler Verlag ein Buch mit Lyrik erscheinen. Lesen Sie ein weiteres Gedicht der Autorin aus der Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.
12. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Kino vom Balkon
Gegen Abend hat endlich die Sonne meinen Nordbalkon erreicht. Darauf habe ich sehnsüchtig gewartet. Was sonst kann man tun als sie sich an ihr erfreuen in diesen Zeiten eines aggressiven Virusteilchens, das uns allen das Ausgehen vermiest? Sonnenuntergänge über den Feldern Handschuhsheims wie über dem Meer, wenn man in Ferien ist. Sind wir ja alle, mehr oder weniger. Bis auf PflegerInnen und ÄrztInnen oder SupermarktkassiererInnen natürlich, die ihr Letztes geben in diesen Zeiten. Und denen es schlecht gedankt wird. Allenfalls mit ein paar Klatschern am Abend vom Balkon.
Und noch nie war der Frühling so frühlingshaft. Jeden Tag herrscht vorbildlich schönes Wetter, wie zum Ausgleich für die Kalamitäten, die uns über alle Nachrichtenkanäle zugebracht werden.
Nach rechts hin zwischen den Zweigen eines noch etwas kahlen Baumes hab ich den Blick auf Weinberge und den Hohen Nistler, der in diesem Abendlicht purpurblau erscheint. Der Magnolienbaum im Hinterhof gegenüber blüht so rosa er nur kann, umso intensiver die Farbe, weil im Kontrast daneben Knospen in Weiß sich geöffnet haben, von einem Apfelbaum vielleicht. Unter mir spielen auf dem Grundstück des Nachbarn Kinder auf dem Trampolin. Eines schlägt sehr gelungene Purzelbäume. In einer abgeteilten Ecke des Rasens huschen zwei Kaninchen umher, ein weißes und ein graues.
Die gerade ergrünte Feldhainbuche vor meiner Nase dient als Stelldichein für ein binationales Taubenpaar, er ist Waldtauberich in graublauem Federkleid mit etwas Weiß am Hals, sie graue Türkentaube mit schwarzem Ring am Köpfchen. Im Vergleich zu ihr ist er riesig. Wenn er als erster kommt, schuhut er ganz laut, sie macht eher ein durchdringendes, wenig ladylikes Kräk, Kräk bei ihrem Anflug. Vor mir haben sie keine Scheu. Ich schaue ihrem Turteln zu. Alles in Allem: Kino pur von meinem Balkon.
Vermutlich wundern sich die Tiere, warum viele Menschen plötzlich entspannt irgendwo herumsitzen oder im Grünen spazieren. Im Wald wimmelt es neuerdings von Spaziergängern.
Nun ist die Sonne weg. Die evangelischen Kirchen haben die Parole ausgegeben, um 19.00 soll vom Balkon aus: ‚Der Mond ist aufgegangen‘ gesungen werden. Er ist noch längst nicht aufgegangen, viel zu früh. Das dauert noch eine Weile. Dafür wird er heute Abend voll sein. Und irgendwie besonders.
Um neun Uhr, wenn er erscheint, lärmt draußen nur noch die Wohngemeinschaft im ersten Stock gegenüber und feiert auf ihrem handtuchschmalen Balkon Party, mit Kerzchen und Lampions und offen- sichtlich ein paar Flaschen Wein und Bier, der Lautstärke nach zu urteilen. Rücksicht auf Nachbarn nehmen sie keine. Aber das war schon vor Corona-Zeiten so. Und ‚Der Mond ist aufgegangen‘ singen sie auch nicht. Schade, ich hätte mitgesungen.
So oder so: Das Leben geht weiter.
© Wiebke Hartmann
Wiebke Hartmann geboren in Heidelberg, Studium der Ethnologie, Soziologie und Religionswissenschaft in Berlin. Lehrbeauftragte und Volkshochschuldozentin, Mitarbeiterin beim STERN, journalistische Arbeiten und zwei Reportagen für STERN-BUCH. Weiterbildung in Familientherapie. Systemische Familientherapeutin in Norwegen. Dort Publikation von journalistischen Arbeiten und Fachartikeln. Heute lebt sie teilweise in Schweden und in Heidelberg, sie publiziert weiterhin journalistisch, veröffentlicht literarische Arbeiten und ist Autorin eines Fachbuchs zum Thema Migration (Der Reisende ohne Schatten). Mitglied der Heidelberger LitOff seit 2015.
Besuchen Sie die Homepage der Autorin und lesen Sie ein Gedicht der Autorin aus der Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.
11. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Der Autor Matthias Delbrück hat in den vergangenen Wochen der Coronakrise Haikus geschrieben. Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Weg auch nach Deutschland fand. Rainer Maria Rilke sah in dieser weltweit kürzesten Gedichtform „einen neuen und wertvollen Bewußtseinsinhalt“. Haikus zu schreiben, ist dichterisch anspruchsvoll. Traditionell bestehen sie aus drei Zeilen: Die 1. und 3. Zeile haben fünf, die 2. hat sieben Silben. Diese Kürze verlangt von einem Dichter nicht nur eine komprimierte Sprachdichte, zugleich ist es seine Aufgabe, dabei eine mehrschichtige, antithetische oder symbolische Aussage zu formulieren. Die Texte sollen sich im Erleben des Lesers vervollständigen.
ein März wie noch nie
umherschweifende Sorge
ein freundlicher Blick
treibend getrieben
das Leben ist eine Sucht
unter Kontrolle
Matthias Delbrück
geboren in Hannover, seit 1986 in Heidelberg bzw. Dossenheim, promovierter (Umwelt-)Physiker. Er arbeitet seit vielen Jahren als Lektor im Sachbuchbereich, seit 2007 im eigenen Redaktionsbüro, wo er auch übersetzt und journalistische Texte verfasst. Kreatives Schreiben seit 2012, Kurse u. a. bei Karina Odenthal; er veröffentlichte mehrere Kurzgeschichten und Lyrik. „Lyrik“, sagt er, „ist etwas Wundervolles, aber nicht leicht zu fassen.“ | © Foto (privat)
Die Autorin Sofie Steinfest liest für Sie ihr Gedicht »Blick in den Fluss : philosophisch« und nimmt Sie mit auf einen Weg, der manch einem Heidelberger vertraut anmuten mag. Stimmungsvolle Verse, die auch den Hörer den Blick schweifen lassen auf einen Fluss, der unaufhaltsam im Wandel begriffen ist.
Sofie Steinfest
in Wien geboren, ist Naturwissenschaftlerin (Zoologie) und Philosophin. Sie hat als Verhaltensforscherin mit einer Gruppe Neuweltaffen gearbeitet, für verschiedene NGOs und im Europäischen Parlament. Mit ihren drei Kindern lebt sie heute am Rande des Odenwalds, wobei ihr die mittlerweile erworbene therapeutische Ausbildung vorgeblich hilft. Sie arbeitet in Heidelberg, ist mit ihrem Lieblingsschriftsteller Heinrich Steinfest verheiratet und widmet sich mit ebensolcher Leidenschaft dem eigenen Schreiben, zuletzt dem Roman „Die Geburtsstunde der Donaustörung“ sowie einiger Kurzprosa und Lyrik. Seit 1996 erste Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien wie „Schreibkraft“, „DUM“, „Litopian“, „Pappelblatt“, „Lit:Us Fanzine“, „Theater Heidelberg“.
Lesen Sie noch ein Gedicht von Sofie Steinfest aus der Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.
Foto © Robert Marcus Klump
10. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Auch heute sind die Seiten unseres „Tage- und Skizzenbuchs von Heidelberger Autoren“ für Sie aufgeschlagen – mit Lyrik von Teresa Kaya, die in Aussicht stellt, was viele in diesen gefühlt unzähligen Tagen des Ausnahmezustands vermissen: die Hoffnung auf eine baldige Wendung. Im Übrigen handelt es sich hierbei um eine besondere Gedichtform: ein so genanntes „Elfchen“. Seine Bezeichnung rührt daher, dass es aus elf Wörtern besteht („Elfchen“), die sich nach einem bestimmten Schema auf fünf Zeilen verteilen. In der 1. Zeile steht nur ein Wort; in der Folge summieren sich die Wörter je Zeile: Zeile 2 hat zwei, Zeile 3 drei, Zeile 4 vier Wörter. Zuletzt steht wiederum nur ein Wort.
In einem Essay teilt Adriana Carcu mit uns Beobachtungen, Innen- und Außenansichten während der Corona-Pandemie und wie – „Social Distancing“ zum Trotz – das Virtuelle und Digitale eine Welt unglaublicher (kultureller) Möglichkeiten eröffnet, in der selbst Nähe wieder möglich scheint.
Corona
Du Frühlingskranz
Voller stachliger Dornen
Zwischen Ranken scheint verborgen
Hoffnung
© Teresa Kaya
Dr. phil. Teresa A. K. Kaya
Jahrgang 1984, promovierte nach einem Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Gender Studies und Amerikanistik in Diakoniewissenschaft an der Universität Heidelberg, wo sie bis 2018 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete. Seit 2018 ist sie u.a. als Freie Autorin tätig mit Veröffentlichungen von (wissenschaftlichen) Artikeln und Büchern über Lyrik bis zu Blog-Beiträgen. Voraussichtlich Ende 2020 erscheint ihr aktuelles Werk im Goldblatt Verlag.
Zur Homepage der Autorin
Foto © Christoph Bastert
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben
Ungefähr zu Beginn der sozialen Distanzierung, die dieses Virus mit einem königlichen Namen auferlegt, bereitete ich mich darauf vor, um seine Folgen zu trauern und die irreversiblen Veränderungen zu analysieren, die die Gefahr einer Kontamination in unserem Verhalten mit sich bringen wird. Ich war überzeugt, dass diese dystopischen Zeiten eine instinktive Vorsichtsmaßnahme hinterlassen werden, die wir immer irgendwo im Hinterkopf tragen werden, und die es schwierig oder sogar unmöglich machen werden, einen Ansatz zu finden. Ich hatte auch einen Titel gefunden: „Die Große Einsamkeit“.
Und dann begannen die Dinge zu passieren.
Ich verfolge seit Jahren das Internet. Wie ein gewisser Komfort einsetzt, ganz zu schweigen von Usurpation, sozialen Funktionen und menschlichen Kontakten. Ich erinnere mich, dass ich selbst inmitten digitaler Euphorie anfällig geworden bin, als mich einmal eine extrem rassistische Meinung auf Facebook so sehr störte, dass ich ihn auf unfriend setzte und sofort eine beispiellose Befriedigung empfand. Ich kann jemanden aus meinem virtuellen Leben ausschließen, ohne Konsequenzen. Erklärungen, Diskussionen und Ausreden waren nicht erforderlich. Nur ein Klick. Es war irgendwie sauber und irgendwie zu einfach. Die digitalen Trennungen waren ebenso unerheblich wie die Freundschaften. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt habe ich beschlossen, nur Leute in meiner Liste zu behalten, mit denen ich mindestens ein Wort gewechselt habe. Ich wollte wissen, dass sie echt sind.
Die erste Phase der Isolation war die der damit verbundenen Einsamkeit; es war das erste Mal, dass wir alle die gleiche Erfahrung machten. Auf jedem Kanal, zu jeder Tages- und Nachtzeit teilten die Menschen die gleiche Angst. Langsam ist der virtuelle Raum ein realer Raum geworden. Echtzeit ist zur virtuellen Zeit geworden. Zuerst war es die kollektive Sorge, der Wunsch, so viel wie möglich über das, was mit uns geschah, herauszufinden, die Angst, die sich in aufeinanderfolgenden Zugriffen näherte und wegbewegte, wie die Wellen, die ein Ufer treffen. Der Alltag erhielt neue Koordinaten.
Die Ausgänge wurden immer seltener, begleitet von immer mehr Vorsichtsmaßnahmen, der Rückkehr nach Hause folgte ein Ritual der Sauberkeit, den Tagen ein Ritual der Nachrichten. Nachdem wir festgestellt hatten, dass die Zahlen die einzigen relevanten Nachrichten waren und der Rest unverständlicher wurde, richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf uns. Jetzt hatten wir Zeit, über die Bedeutung des persönlichen Kontakts, den Zweck einer Arbeitswoche und die Schnelligkeit nachzudenken, mit der eine kleine Laune der Natur in nur wenigen Wochen unser persönliches Leben verändern und eine Wirtschaft ruinieren kann. Unter unseren Augen gab es ein Drama von globaler Dimension, das wir mit erstaunlicher Schnelligkeit akzeptiert haben.
Dann gab es eine Spaltung, aber auch ein Einrasten der Menschen. Einige waren von den ursprünglichen Ängsten überwältigt und entschieden sich für die apokalyptische Version der Krise, andere beschlossen, sich weiterhin auf die gute Natur der Menschheit und das Bedürfnis nach Zusammenhalt zu verlassen, und wandten sich anderen Quellen der Ermutigung zu. Es begann damit, dass die Italiener von den Balkonen sangen und mit kleinen menschlichen Gesten, die sich allmählich in echte Opfer verwandelten.
Für mich gipfelte das Gefühl der Zugehörigkeit zur großen menschlichen Gemeinschaft in den Online-Manifestationen von Künstlern und Vereinen, die ihre Bühne verloren hatten. Konzerte, Lesungen, Shows und virtuelle Besuche in Museen haben den Alltag mit dieser spirituellen Note geadelt, die uns dazu bringt, ihn besser zu ertragen. Das Digitale erhielt immer reellere, menschlichere Qualitäten. Ich konnte Schriftsteller sehen, die uns in Echtzeit von der Couch ihrer Isolation aus vorlasen, ich konnte Musiker sehen, die aus den improvisierten Studios im Wohnzimmer sangen, ich konnte King Lear live am Globe Theatre in London sehen, ich ging durch den Prado. Ich befand mich zusammen mit all diesen Menschen in einer Isolation, die zu einem Allgemeingut geworden war.
Draußen war die Krankheit unheimlich, Verschwörungstheorien blühten wie Mohnblumen auf Brachland, und die Meinung, dass dies eine Grippe wie jede andere sei, besetzte eine andere Loge. Die Zahlen stiegen sichtbar, aber, wie Dylan Thomas so schön sagte, das Gefühl von Musik, Literatur und Kunst wurde von einem Gedanken beherrscht: And Death Shall Have No Dominion. Das virtuelle bot ein alternatives Leben, eine Variante der Realität, voller Schönheit und Hoffnung. Der Tod konnte nicht gewinnen.
In diesen Tagen voller Ekstase und Terror, in denen der Kreuzgang uns die Möglichkeit gab, uns in all unserer Pracht und unserem Elend (wieder) zu kennen, wünschte ich mir, wenn alles vorbei ist, hätten wir gelernt, dass wir das Böse gemeinsam überwinden können, wenn wir die Reinheit unseres Seins nicht verraten.
© Adriana Carcu
Adriana Carcu ist eine internationale Journalistin und Autorin, kuratiert Kunstaustellungen mit deutschen und rumänischen Künstlern und unterrichtet seit 2007 Englisch und Rumänisch an der Volkshochschule Heidelberg. Sie wurde im rumänischen Temeschwar geboren und lebt seit 1988 in Heidelberg. Sie hat englische Literatur und Zivilisation studiert und mit einer Arbeit über „Human Nature and Human Condition in the Works of Henry James” abgeschlossen. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter Interview des Jahres mit Künstler Valeriu Sepi (Die Geschichte unserer Tage). Eine sentimentale Chronik war als Bestes Buch des Jahres (Gala für herausragende Verlags Neuerscheinungen Druckfertig) nominiert. Adriana Carcu ist Mitglied u.a. im Rumänischen Schriftsteller Verein, Exil P.E.N international, GEDOK Heidelberg. Zuletzt erschienen von ihr Golden (Pop-Epik) und Das Lied aus dem Norden. Zur Homepage und Facebook-Seite der Autorin.
9. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Der Dichter Joseph von Eichendorff schrieb, dass Heidelberg besonders im Frühling von einer idyllisch-romantischen Schönheit sei: „…da umschlingt der Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen, als gäbe es nichts Gemeines auf der Welt“. Die Autorin Marion Tauschwitz lässt heute mit uns den Blick schweifen und sieht durch das Fenster ihres Arbeitszimmers ein Heidelberg, das selbst in diesen krisenhaften Zeiten merkwürdig vertraut wirkt.
zuletzt erschienen
Das unverlierbare Leben. Erinnerungen an Hilde Domin
zu Klampen! Verlag
Marion Tauschwitz
Jahrgang 1953, schloss ihr Germanistik- und Anglistikstudium an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg ab. Seit 2007 arbeitet sie als selbstständige Schriftstellerin. Sie war engste Vertraute und Mitarbeiterin der Lyrikerin Hilde Domin (1909–2006), deren Biografie »Hilde Domin. Dass ich sein kann, wie ich bin« sie 2009 zu deren 100. Geburtstag vorlegte. Seitdem zahlreiche Veröffentlichungen, Schwerpunkt Biografien. 2018 wurde Marion Tauschwitz in das PEN-Zentrum Deutschland gewählt. 2015 wurde sie von der Autorinnenvereinigung e.V. als „Autorin des Jahres“ ausgezeichnet. 2013 erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Förderkreises Deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg. Fachbeirätin Literatur GEDOK Heidelberg. Sprecherin der Versammlung der Heidelberger Autorinnen und Autoren.
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Hören Sie eine Leseprobe aus ihrem aktuellen Buch.
Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf so genannte Risikogruppen konfrontiert uns mit etwas, das auch berühmte Dichter wie Goethe zutiefst fürchteten: das Altern. Jean Paul brachte es einst auf die humorvolle Formel: „Jeden Morgen ist man 18 Jahre alt, abends 81.“ – Doch wann ist man eigentlich alt? – Eine Frage, die auch der Heidelberger Autor Anton Ottmann stellt.
Anton Ottmann
Autor und freier Journalist. Autor von Kurzgeschichten, Dialogen und Gedichten, Veröffentlichungen mehrerer Bücher und Publikation von mathematischem Unterrichtsmaterial.
Zur Homepage
Wenn ich alt wäre…
Wenn ich alt wäre,
würde ich ganz einfach weiterleben,
vielleicht langsamer und bewusster,
mehr auf meinen Körper achtend,
und mehr die kleinen Dinge schätzend.
Wenn ich alt wäre,
würde ich meine Schulden begleichen,
bei manchem auch meine Schuld.
Ich würde um Verzeihung bitten,
und sagen, wenn ich jemand liebe.
Wenn ich alt wäre,
würde ich mein Leben ordnen,
auf dass ich kein Chaos hinterlasse.
Und allen, die an mich gebunden sind,
die Freiheit geben für die Zeit danach.
Wenn ich alt wäre,
würde ich jeden neuen Tag begrüßen,
das Zwitschern der Vögel und das Surren der Fliegen,
den Duft der Blumen und das Rauschen der Blätter,
und jeden Bissen, der mir schmeckt, genießen.
Doch, sag mir, wann bin ich alt?
© Anton Ottmann
Ob Alltag oder Krisenzeit – viele Autoren entwickeln bemerkenswerte Rituale, um die Muse zu beschwören: Kipling schrieb ausschließlich mit schwarzer Tinte, Hemingway und Lewis Carroll ersonnen ihre Werke vorwiegend im Stehen, Schiller roch an faulen Äpfeln, Charles Dickens brauchte Ruhe, weshalb er sich eine zusätzliche Tür zum Arbeitszimmer einbauen ließ. Die Heidelberger Autorin Heide-Marie Lauterer schwört auf die frühe Morgenluft: „Meine Gedichte kommen immer ganz früh am Morgen. Wenn die erste Amsel singt.“ – Heute teilt sie mit uns zwei Gedichte, die Mut machen und alle einladen, sich gerade in Krisenzeiten „gegen den Sturm zu stellen“.
Black Planet
Wie Jesus auf dem Trampolin
Deiner Auferstehung
Mit jedem Sprung höher zum Licht.
Schwimme, tauche dich frei im klaren Wasser
Fülle den Sack mit schwarzer Erde,
in der Blumen wachsen.
Du gibst mit vollen Händen.
© Heide-Marie Lauterer
Dr. Heide-Marie Lauterer ist 1952 in Heidelberg geboren. Studium der Germanistik und Geschichte; Gymnasiallehrerin, Historikerin, zuletzt bei der Max-Weber-Edition an der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Nach zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen schreibt sie Romane, Geschichten und Reiterkrimis. Ihre Kurz-Geschichten sind in verschiedenen Anthologien sowie dem Band Irre Geschichten abgedruckt. Sie ist Mitglied der Mörderischen Schwestern, der Heidelberger Autorenvereinigung Litoff und dem Heidelberger Textsalon.
8. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Wir schlagen auch heute wieder eine neue Seite in unserem »Multimedialen Tage- und Skizzenbuch von Heidelberger Autoren« auf: mit zwei wunderbaren Gedichten, eines von Barbara Imgrund, das voller Mut und Tatendrang ist, und eines von Marcus Schiltenwolf, ein poetischer Blick auf den Frühling in Coronazeiten. In unserem „digitelen Lesesaal“ liest heute die Autorin Bella Bender ihren Text „Innenleben“. Kurzprosa gibt es auch von Rolf Krane, der uns vier Tage im Zeichen von Ausgangsbeschränkung und Social Distancing miterleben lässt.
Marcus Schiltenwolf
Arzt am Uniklinikum, seit 1987 in Heidelberg, verheiratet, 3 Kinder. Lyrik seit der Schulzeit, im Nebenfach, neben der Arbeit am Klinikum. „Ich richte mich ein zwischen allen Stühlen.“ Lyrikpreis der Stadt Mannheim 1995.
Corona, es ist
Oder doch Einspruch
das erste Grün
zur rechten Zeit
in unserem Lockdown
atme ich
unter Hochdruck
Anfang April
durch die freie Brust
Dich sehe ich
hinter Maske auf der Bank
umher alles still
kein Wind kein Regen
kein Wort
von fremder Seite
bleibst du mir
Einspruch zu halten
gegen die Brüche
im Blick von uns
weg ins Sichtbare
Grün ganz unbedroht.
© Marcus Schiltenwolf
„Sonne fällt durch die hohen Fenster in mein Zimmer….“
Bella Bender liest „Innenleben“ für Sie
Bella Bender, geboren in Baden-Baden, lebt heute in Heidelberg. Im Juni 2017 erschien ihr Erstlingswerk Tinte in Wasser, im Mai 2019 veröffentlichte der Periplaneta Verlag in Berlin ihre Erzählungen Die artgerechte Haltung von Gedanken, 14 Kurzgeschichten über den menschlichen Grundkonflikt zwischen Freiheit und Sicherheit. Das Cover wurde von Julia Klaiber gestaltet. Sie arbeitet als Lektorin und schreibt aktuell einen Roman.
Heidelberger konnten die Autorin zuletzt im Winter bei ihrer Lesung im Bücherglück – Petras BahnstadtBuchhandlung erleben. Auf Instagram liest sie regelmäßig aus ihren Texten. Besuchen Sie auch die Homepage der Autorin, wo Sie auch ihre Gedanken zum Mitnehmen finden. Zum Mitnehmen ist auch ihr hier vorgetragener Text Innenleben.
In dieser Zeit
Ich werde Rosen pflanzen auf verbrannter Erde
und einen Apfelbaum, als gäb’s kein Morgen mehr.
Ich möchte Tauben züchten, bis ich hundert werde,
und sie in Frieden ziehen lassen übers Meer.
Ich säe Eintracht, schütte tiefe Gräben zu,
ich lasse Hoffnung keimen, bis sie Wurzeln schlägt.
Ich gebe täglich Leben, Liebe, Licht hinzu
und warte, dass die Saat aufgeht und Früchte trägt.
Dann werde ich Unkraut jäten, wo ich es nur sehe.
Ich will nicht, dass es in der Erde bleibt
und braun wird, wuchert, faule Blüten treibt.
Ich werde etwas tun. Und sagen, wo ich stehe.
© Barbara Imgrund
Barbara Imgrund
Im Allgäu aufgewachsen, in München Germanistik studiert und in verschiedenen renommierten Verlagen das Lektorenhandwerk gelernt. Seit 1998 arbeitet sie frei als Übersetzerin und Autorin. Ehrenamtlich engagiert sie sich im Tierschutz, im Hospiz- und Besuchshundedienst. Die dabei gesammelten Erfahrungen verarbeitet sie in ihren Romanen: So schreibt sie mit Vorliebe erfundene Geschichten aus dem wahren Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Seit 2000 lebt und arbeitet sie in Heidelberg. Erschienen sind von der Autorin Das Glück des Schmetterlings beim Fliegen, Sonnenblumenblues, FreakOut und Wild Woman. Besuchen Sie die Homepage und die Facebook-Seite der Autorin.
Corona-Tagebuch
Ein Meter Fünfzig Abstand – 17. März 2020
Bereits vor drei Wochen bin ich in meinem sozialen Leben auf räumlichen Abstand gegangen. Um mich fit zu halten, unternehme ich seitdem täglich eine ausgedehnte Wanderung durch die Weinberge vor meiner Haustür. Heute begegnen mir viel mehr Menschen als sonst zuvor. Die Sonne scheint, der kalte Ostwind hat eine Pause eingelegt und seit gestern sind die Schulen geschlossen. Da kreuzt eine Gruppe von betagten Rentnern meinen Weg. Vielleicht hören sie schlecht und rücken deshalb so nah zusammen. Eine Gruppe von Jugendlichen grillt vor einer Hütte. Sie sind eng zusammengerückt um eine Tischgarnitur mit einer Shisha-Pfeife in der Mitte. Auf einer anderen Bank sitzt ein Großvater neben seinem Enkel. Sie haben eine Pause auf ihrer Radtour eingelegt. Wieder einmal kommt mir eine Gruppe italienisch sprechender Menschen entgegen. Das dritte Mal seit gestern. Sind sie aus Italien zu ihren Verwandten in Deutschland geflohen? Auf meinem Rückweg passiere ich drei Jungen im Grundschulalter, die am Rande einer Wohnsiedlung zusammenspielen. Als sie mich ankommen sehen, ruft einer den anderen zu: „Ein Meter Fünfzig Abstand!“ Aus größerer Distanz lobe ich sie dafür und ermuntere sie, noch mehr Abstand zu älteren Leuten zu halten. Ein anderer meint daraufhin: „Mein Opa und meine Oma sind aus Österreich zurückgekommen. Die haben vielleicht auch Corona.“
Schick durch die Krise – 31. März 2020
Heute ist wieder ein strahlender Tag mit blauem Himmel, ein idealer Tag für eine ausgedehnte Tour durch die Weinberge. Und so walke ich über die asphaltierten Wege, die für die Landwirtschaft und den Weinbau angelegt worden sind. Unterwegs begegnen mir Radfahrer, Fußgänger und Hundehalter mit ihren Vierbeinern. Überraschend kommt mir ein Pkw entgegen. Der Weg ist kaum breit genug für ein einzelnes Fahrzeug. Um auszuweichen und Abstand zu gewinnen, muss ich eine leichte Böschung hochsteigen und in einen Acker stapfen. Ein schickes metallic-blaues Mercedes-Cabrio kommt mir entgegen. Bei dem herrlichen Wetter ist das Dach geöffnet, so dass ich die Insassen von meinem erhöhten Standort gut erkennen kann. Ein Herr sitzt am Steuer. Eine Dame auf dem Beifahrersitz. Die klassische Aufteilung. Beide sind äußerst schick gekleidet. Passend zu ihrem schicken Cabrio. Ein unverkennbarer Ausdruck von Eleganz und Vermögen. Beide tragen schicke FP2-Atemschutzmasken, die farblich auf die Lackierung ihres Cabrios abgestimmt sind. Mir fallen die Kinnladen herunter. Mit einer Maske um meinen Mund wäre das nicht passiert.
Mund-Nasen-Schutz – 2. April 2020
Auf dem Weg zur Post kommt mir ein älterer Herr entgegen. Wir tragen beide einen einfachen Mund-Nasen-Schutz. Seinen hat er auf das Kinn herabgezogen. In seinem Mundwinkel steckt eine Zigarette. Von weitem weht mir eine Wolke Tabakqualm entgegen. Ich stelle erleichtert fest, dass mein Geruchssinn noch funktioniert.
Crispy Mais – 7. April 2020
Es klingelt an meiner Haustür. Ich gehe an das Küchenfenster und stelle es auf Kippe. Ein Wagen des DPD steht vor meiner Tür. Es ist niemand zu sehen. Die Lieferung von zwölf Dosen Crispy Mais ist angekommen. Kleine Portionen, mit denen ich gelegentlich meine Mittagsgerichte anreichere. Die zusätzlich bestellte Dosenpalette mit Erbsen und Möhren wurde bereits vor ein paar Tagen storniert. Sie sind ausverkauft. Ich rufe dem Zusteller vor meiner Haustür zu: „Stellen Sie bitte das Päckchen vor der Tür ab.“ In meinen Lieferpräsenzen hatte ich bereits als Abstellort angegeben: „Hinter dem Blumenkübel vor der Haustür.“ Dann sehe ich den Zusteller, einen älteren Herrn, vielleicht südeuropäischer Abstammung. Zögerlich trottet er durch meinen Vorgarten zurück zum Lieferwagen. „Ein Mann in diesem Alter sollte diese Arbeit nicht mehr tun dürfen.“ denke ich. Behäbig geht er über den Bürgersteig zur Beifahrertür und bohrt mit seinem rechten Zeigefinger in der Nase.
Foto © Michael Benz
Rolf Krane ist ein unabhängiger Reise-Fotograf und Autor des Buches Der Reisende Rahmen. Foto-Reportagen seiner Heilreisen veröffentlicht er auf der Website www.heil.reisen.
7. April 2020 | Tage- und Skizzenbuch Heidelberger Autoren
Wir öffnen die ersten Seiten in unserem »Multimedialen Tage- und Skizzenbuch von Heidelberger Autoren«: mit einem wunderbaren Gedicht von Gerhild Michel, die leise der „Wirklichkeit“ dieser merkwürdigen Tage nachspürt. In unserem „digitalen Lesesaal“ hören Sie Marlene Bach mit ihrer Kurzgeschichte „Stadtvögel“. – Ist Schreiben in den Zeiten von Corona überhaupt möglich? – Nachdenkliches von Andrea Willig.
Der Himmel wieder blau
wie in meiner Kindheit
keine Flugzeuge
die ihn zerschneiden
still ist die Welt geworden
nur die Uhren
höre ich schlagen
kaum wage ich zu atmen
Nichts ist wirklich
wo ich bin
keine Menschen im Park
keine Kinder auf den Wiesen
und der Frühling breitet sich aus
ohne Ende
Zwischen den Steinritzen
sprießt gelber Löwenzahn
die heimlichen Sieger
geschrieben am 5. April 2020
© Gerhild Michel
Gerhild Michel
geboren in Berlin, aufgewachsen in Heidelberg. Studium der Philosophie und Theaterwissenschaft in Wien, mehrjährige Theaterarbeit an verschiedenen deutschen Bühnen. Anschließend Studium der Pädagogik, seit 1975 im Lehramt in Heidelberg. Lehraufträge an der Päd. Hochschule Heidelberg mit dem Thema „Schüler schreiben Gedichte“. Lyrik- Veröffentlichungen in Zeitschriften, Anthologien und Gedichtbänden. Mitglied der GEDOK Heidelberg. Zuletzt erschienen: Alles in den Augen. Gedichte (Edition Exemplum) | ISBN: 9783898966351
Zur Homepage der Autorin
Foto: © Gerhild Michel
Die Heidelberger Autorin Marlene Bach liest für Sie ihre Kurzgeschichte „Stadtvögel“, die 2017 den zweiten Platz beim Nordhessischen Literaturpreis gewann.
Marlene Bach wurde 1961 in Rheydt geboren und wuchs nahe der niederländischen Grenze auf. 1997 zog die promovierte Psychologin nach Heidelberg. Hier begann sie, Kriminalromane und Kurzgeschichten zu schreiben. Für eine dieser Geschichten erhielt sie den Walter-Kempowski-Literaturpreis (2011). Unter dem Titel Samtschwarz ist im März ihr siebter Kriminalroman erschienen. Lesen Sie die Pressestimmen zu ihrem neuen Roman und hören Sie eine Leseprobe. Zur Homepage der Autorin
»Ein Corona-Tagebuch. Eine Einladung zum Innehalten mitten im Sturm.
Wie gerne nähme ich sie an!
Aber darf die Muse mich überhaupt küssen? Ist sie ausgenommen vom Abstandsgebot, das uns alle entfremdet, entkörperlicht, als seien wir digital und nicht lebendig mit einer hochempfindlichen Haut und einem unruhigen Herz?
Küss mich, du Muse, küss mich!
Entzünde in mir die Idee für die eine einzigartige, unerhörte Corona-Geschichte!
Führe mich weit hinaus in die Phantasie,
in das Unvorstellbare, das unsre Wirklichkeit ist.
Ein vereintes Europa, in dem wir die Grenzen nicht mehr überschreiten und Nachbarn sich nicht mehr besuchen dürfen. Wo an Schranken und auf den Straßen Polizei patrouilliert und mancherorts sogar Militär.
Eine Welt in Angst vor einem Virus, das lateinisch Kranz oder Krone bedeutet, in der Ärzte und Pfleger bis zur Erschöpfung kämpfen, und alle Gedanken und Worte um nichts anderes kreisen als das.
Tausende arbeiten ohne ihr Team alleine zuhause, weniger Glückliche haben überhaupt keine Arbeit mehr.
Die Gelddruckmaschinen laufen jetzt rasender als zuvor in einer längst überhitzen Ökonomie. Manche beschwören den orchestrierten Finanzcrash mit Währungsreform zu Ungunsten nahezu Aller.
Andere hoffen, dass jetzt der Quantensprung kommt in ein neues klügeres Zeitalter.
Wie ich mich fühle?
Verwirrt und reizüberflutet – von der stetig steigenden Zahl Gestorbener und Infizierter, von dem Wissen, dass Menschen in Heimen ohne die Gegenwart und den Trost einer vertrauten Person leben und sterben müssen, von der beklemmenden Ahnung , was in manchen Familien hinter verschlossenen Türen geschieht.
Gleichzeitig bin ich berührt – von dem Wundervollen,
den singende Italienern, den Musikern, die sich auf dem Balkon oder virtuell jeder für sich zum gemeinsamen Musizieren versammeln, von der Hilfsbereitschaft auch und gerade der jungen Leute, die in nahezu jeder Nachbarschaft entschlossen anpacken.
Von dem, was die Entschleunigung bei oftmals gehetzten Menschen wie uns im besten Fall auslösen könnte.
Komm, Muse, küss mich!
Küss mich und schenk mir mit deinem Kuss die Vorstellungskraft sogar – für einen glücklichen Ausgang.
Für kraftvolle Bilder von einem Danach.«
Andrea Willig
Hörfunkredakteurin und Autorin. Geboren in Bad Kreuznach, Studium der Literatur, Linguistik, Philosophie in Heidelberg. Sie teilte die Anliegen der Studentenbewegung, genoss die rebellische Zeit und träumte vom Schreiben. Vor einem Jahr erschien ihr erster Roman „Die Eule“ | ISBN 978-3-947670-02-4
Foto: © Luca Siermann