Machen Sie es sich in unserer Lese-Lounge gemütlich.






In unserer Lese-Lounge kann man es sich gemütlich machen.
Hier finden Sie Prosatexte mittlerer Länge und dazwischen kleine poetische Inseln: wunderbare Gedichte von Heidelberger Autoren. Unsere Lese-Lounge lädt Sie zum Verweilen ein, es ist ein „Buch im Tage- und Skizzenbuch“,
ideal für alle Lese- und Musestunden.
Auf der zweiten Seite treten Sie in unseren digitalen Lesesaal ein. Hier können Sie erleben, was wir in diesen Tagen wahrlich vermissen: Lesungen und Begegnungen. Nehmen Sie Platz, sehen und hören Sie Heidelberger Autoren. Wir haben Ihnen hier nochmals alle Audio- und Videolesungen aus unserem Tage- und Skizzenbuch zusammengetragen.







Schmetterlingslied

Trockene Blätter,
ausgedörrt, spröde, verwelkt,
braun und ocker
– mitten im Sommer –
zwischen Stein und Sand
knirscht es unter meinen Füßen
auf meinem Weg
zum blühenden Baum
in der Nähe.
Der blüht rötlich,
strahlt in der Sonne,
Schmetterlinge schweben um ihn
weiß und hell,
singen leise ihr Lied,
das sanft mein Ohr berührt,
meine Füße schweben lässt
hin zum Grün und Bunt
– das wartet auf mich.


© Gertrud Edelmann


Gertrud Edelmann
1961 im hessischen Odenwald geboren und dort aufgewachsen, studierte Germanistik und Theologie in Marburg und Heidelberg, wo sie seit 1981 lebt. Sie war in Sprachinstituten, bei der Zeitung und im Buchhandel tätig und legte die Abschlussprüfung für das Fach Ethik an der Universität Gießen ab. Seit 1991 übt sie ihren Beruf als Gymnasiallehrerin aus. Sie ist. Mitglied in der Autorengruppe „city of literature“, Heidelberg.
Zuletzt erschienen Sonnensegel. Gedichte im Draupadi Verlag.
Lesen Sie ein weiteres Gedicht der Autorin aus der Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.

Foto © Kirsten Bews







Auferstehung

Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tag
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut

Marie Luise Kaschnitz



Wenn Zane von Gedichten sprach, mir etwas über Lyrik erzählte, fühlte ich mich eigentümlich befangen. Dieses Wort kam in meinem Sprachgebrauch nicht vor, bei uns zuhause wurde prosa gesprochen. Abends stellte meine Mutter das Radio für das „Sandmännchen“ an, das war alles. Doch wenn Zane und ich zusammen auf Bäume kletterten, vom Garagendach sprangen, in ausgedienten Luftschutzkellern auf Schatzsuche herumkrochen, verstanden wir uns prächtig. Zane war bereit zu allem, war draufgängerisch und viel mutiger als ich. Und traurig. Wenn sie Lyrik sagte, leise, mit dieser eigentümlichen Betonung, verschleierte sich ihr Blick, und sie begann zu lispeln. Lyrik ist etwas Trauriges, dachte ich, so traurig wie Zane, oder noch trauriger. Wenn ich mit ihr zusammen war, versuchte ich ihre Melancholie zu vertreiben; ich hatte Angst vor Ansteckung hatte und verbot ihr, mir Gedichte aufzusagen. Bestimmt hat sie diese Scheu falsch verstanden und als Desinteresse ausgelegt, warum sonst hätte sie von einem auf den anderen Tag den Kontakt zu mir abbrechen sollen? Möglicherweise lag der Grund auch bei ihren Eltern, jedenfalls stand eines Tages ihr Name nicht mehr auf dem Klingelschild; sie war weggezogen, ohne mir zu sagen wohin. Zanes Verschwinden löste in mir ein Gefühl der Verlassenheit aus, ein dumpfes Schuldgefühl, was meine Freude an Gedichten nicht gerade gefördert hat. Eine Zeit lang kletterte ich alleine auf Bäume, vom Garagendach wollte ich nicht mehr springen, und Mutproben waren sinnlos alleine. Von Zane habe ich nichts mehr gehört.
Erst Jahre später wurde ich buchstäblich wieder auf ein Gedicht gestoßen; „Auferstehung“ von Marie-Luise Kaschnitz. Es war kurz vor Ostern, keine Ahnung ob es ein Zufall war. Ich hatte mich nach einer langen Krankheit  zum ersten Mal wieder ans Steuer gesetzt und war in gemächlichem Tempo fast bis hinunter zur südlichen Landesgrenze gefahren. Wenige Kilometer vor dem Schlagbaum verließ ich die Ebene und lenkte meinen Kastenwagen auf die Berge zu. Damals wurden auf der Landstraße, die mich durch kahle Weinberge und malerische Dörfer mit Fachwerkhäusern führte, Verkehrsinseln gebaut, die die alten Ampelanlagen ersetzen sollten. Die Baustellen erforderten meine ganze Aufmerksamkeit, so dass ich meinen CD-Spieler ausschalten musste. Die Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“, von Anna Seghers selbst gelesen, wurde gerade an der Stelle unterbrochen, als der Fiebertraum der Ich-Erzählerin, irgendwo in einer mexikanischen Wüstengegend, in die Erinnerung an längst vergangene Mädchenzeiten in Nazi-Deutschland mündete.
Bald wurde die Straße kurvenreicher, weitere Baustellen tauchten auf und Umleitungen, die mich vom erneuten Einschalten abhielten. Als ich schließlich das am Fuße des Belchen gelegene Städtchen Staufen erreichte, brach die Dämmerung herein und ich war froh, den Aufstieg nicht völlig im Dunkeln machen zu müssen. Kurz vor der Abzweigung zu meinem Sanatorium sah ich am wolkenverhangenen Himmel zwei Mäusebussarde kreisen, die sich mit weit ausgebreiteten Schwingen vom Winde treiben ließen und doch immer wieder wie von einer unsichtbaren Kraft zueinander hingezogen wurden.
Noch vor ein paar Tagen war die kleine Nebenstraße unpassierbar gewesen. Ein plötzlicher Wetterumschwung mit einem Schneesturm, wie er den ganzen Winter über nicht vorgekommen war, hatte die Straßen mit einer dicken Schneedecke überzogen und das höher gelegene Sanatorium von der Außenwelt abgeschnitten. Jetzt war der Schnee fort, nur auf den Waldwegen lagen noch ein paar weiße Flecken, die kurvige und steile Straße war vollkommen frei. Die hereinbrechende Nacht stellte mir die Gefahren der Strecke deutlich vor Augen. Der nur unzureichend befestigte Straßenrand, hier und da fehlende Leitplanken, weggedrückt von den eben geräumten Schneemassen. An manchen Stellen der Straße brach das Gelände jäh ab, während sich auf der anderen Seite eine hohe, zerklüftete Felswand erhob, die bei Gegenverkehr ein Ausweichen unmöglich gemacht hätte. Doch ich hatte Glück und erreichte mein Ziel schneller als gedacht.
Kaum hatte ich meinen Wagen abgestellt, wurde ich von einer großen Müdigkeit, ja einer Art Erschöpfung erfasst, die ich auf die anstrengende lange Fahrt, die kurvenreiche Bergstrecke, und den beträchtlichen Höhenunterschieds zwischen der Rheinebene und dem Kurort zurückführte. Ich bat die Empfangsdame, mir später beim Gepäckausladen zu helfen; aus eigener Kraft würde ich meine Koffer und die Reisetasche keine einzige Stufe hinaufschleppen können.
Ich ruhte mich in meinem karg und trotzdem gemütlich eingerichteten Dachzimmer aus, dann unternahm ich einen ersten Rundgang durch das Haus. Gerade verließen die letzten Gäste zu zweit oder dritt lachend und plaudernd den Speisesaal. Andere hatten sich bereits im Salon niedergelassen und ein Karten- oder Brettspiel ausgepackt. Wieder andere standen unschlüssig im Flur zusammen. Ob es meine Müdigkeit war, ein aufkommender grippaler Infekt oder sonst eine ernste Krankheit –, mich zu einer Gruppe zu gesellen hatte ich nicht die geringste Lust. Ich fühlte mich fremd, von einer jähen Traurigkeit erfasst. War Zane nicht auch oft so traurig gewesen? Warum dachte ich gerade jetzt an sie? Ich hatte nie nach dem Grund ihrer Traurigkeit gefragt, was hätte sie mir auch antworten sollen? Zane, die immer so bemüht war, es ihrem Vater recht zu tun. Als Klempner verstand er sich auf tropfende Wasserhähne und undichte Leitungen. Er liebte seine Tochter, aber er stemmte sich beharrlich gegen Zanes Begeisterung für Lyrik, die er für einen Defekt hielt, wie einen Rohrbruch oder eine Verstopfung. Er versuchte ihr immer klarzumachen, dass sie ihre Zeit besser mit Nützlicherem als mit Gedichten verbringen sollte. Was dazu führte, dass Zane ihre Verse heimlich in eine Kladde schrieb, oft sogar während der Schulstunden, wofür sie von der Lehrerin gerügt wurde. Sie verschloss das Heft in einer Schublade in ihrem Zimmer und zeigte es keinem. Jedes Mal, wenn wir uns trafen, bat sie mich, doch auch einmal etwas zu reimen; es sei nicht schwer und mir müsse das Dichten leicht fallen, da ich doch so schön erzählen könne und Geschichten mir nur so aus dem Ärmel purzelten. Dass meine Geschichten vom „Sandmännchen“ stammten, behielt ich für mich. Zane schöpfte keinen Verdacht, sie besaßen zuhause nicht einmal ein Küchenradio.
Um mich vor dem Zubettgehen noch ein bisschen zu zerstreuen, mich aus meiner melancholischen Stimmung zu lösen, blätterte ich im Gästebuch. Auf jeder Seite fand ich Einträge glücklicher und dankbarer Menschen, die am Ende ihres Kuraufenthaltes Lobeshymnen auf das Sanatorium sangen. In mir erzeugten diese Reime, Grüße, Zeichnungen und Anekdoten über wundersame Heilungsprozesse ein Gefühl der Leere und des Verdrusses. Gerade als ich das Buch zur Seite legen wollte, sprang mir ein Name – mein Name – ins Auge. „Für Leo!“, las ich in einer gut lesbaren Frauenhandschrift, geschrieben mit dunkelblauer Königstinte. Es folgte von derselben Hand die Überschrift des Gedichtes. „Auferstehung“, mit dem Namen der Dichterin und dem Datum des Eintrages, wenige Tage vor meiner Ankunft, zwei Wochen vor Ostern. Unter die Verse hatte die Schreiberin eine Zueignung geschrieben, die mir unheimlich vorkam, weil sie ebenso wie die Anrede an mich gerichtet schien. Als habe die Schreiberin gewusst, dass ich schon lange nicht mehr hier gewesen war und mich sehr auf diesen Aufenthalt gefreut hatte. Wie anders hätte ich mir die Worte erklären sollen: „Wie schön, dass Du endlich wieder einmal im Hause Lucia bist. Möge es Dir genauso gut ergehen, wie es mir ergangen ist. Clarissa.
Ich heiße Leonie, aber meine Freundinnen nennen mich Leo. War dieses Gedicht wirklich für mich? Es gefiel mir nicht besonders. Es ging nicht um Ostern, sondern um eine Auferstehung mitten im Alltag, wie das Aufstehen am Morgen, während der Wecker weitertickt. Karfreitag stand kurz bevor und mich beschlich ein klammes Gefühl, wie immer an Karfreitag. Wer aufstehen wollte, musste sich vorher hinlegen, wer auferstehen wollte, musste vorher sterben, war es nicht so? Aber konnte man überhaupt so etwas wollen – auferstehen? Bestimmt nicht, wenn überhaupt, so geschieht es einfach, man wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Doch an wen war der Eintrag denn nun gerichtet? Als ich das Buch verwirrt zuklappte, sagte ich mir: Wer heißt nicht alles Leonie heutzutage, bestimmt gab es unter den Gästen noch jemanden mit diesem Namen. Genau wie Clarissa. Ich kannte drei Frauen, die so hießen. Zwei waren eher flüchtige Bekanntschaften, aber die dritte war eine Klassenkameradin von Zane und mir, von der ich ebenfalls lange nichts mehr gehört hatte. Na ja, Clarissa war kein Allerweltsname, aber ganz ungewöhnlich auch wieder nicht. Warum sich also Gedanken machen? Zane hätte mit dem Gedicht etwas anfangen können, da war ich mir sicher. Sie war ja immer vom Dunklen, Geheimnisvollen angezogen worden.
Ich bestellte mir einen Melissen-Tee und setzte mich in eine Sofaecke. Doch die entspannende Wirkung der Kräutermischung stellte sich nicht ein. Die Frage quälte mich mehr als ich zugeben wollte – verstohlen schaute ich mich um – wer konnte diese Leo sein, der das Gedicht zugeeignet war? Die Dicke dahinten im Sessel mit dem Mondgesicht und den wachen Goldhamsteraugen? Oder etwa die große Hagere, die vornübergebeugt am Tisch saß und Zeitung las? Ich spitzte meine Ohren so gut ich konnte, um aus den Gesprächsfetzen der Kartenspielenden die Namen zu erhaschen, die sie sich zuriefen. „Hannelore, Anja, Martina, Peter“ –  eine Leonie war nicht dabei. Als ich schließlich zu ungewohnt früher Stunde in meinem Bett lag, fielen mir vor Müdigkeit die Augen zu. Noch im Halbschlaf vernahm ich ein rhythmisches Stampfen, unterbrochen von Händeklatschen, lang, kurz, kurz, lang, begleitet von einem Singsang, dessen Worte ich nicht verstand. Irgendetwas mit Flügeln kam darin vor und von Glück. Da fiel mir ein, dass ich meine Reisetasche, meinen Koffer und den Rucksack noch nicht ausgepackt hatte, ja, dass ich mein ganzes Gepäck im Wagen gelassen und nur eine kleine Handtasche mit dem Nötigsten für die Nacht mit herauf gebracht hatte. Vorsichtshalber schaute ich aus dem Fenster auf den hell ausgeleuchteten Parkplatz hinunter, trotzdem nahm ich alles nur schemenhaft wahr. Mein Auto schien unter einem ungeheuren Kofferberg verschwunden, jemand musste einen ganzen Gepäckwagen darüber abgeladen haben. Morgen, dachte ich, morgen kümmere ich mich um alles. Mich erfasste eine plötzliche Mutlosigkeit, doch mit einem Mal ließ das Stampfen nach, das anfangs dem einer fliehenden Elefantenherde geglichen hatte. Jetzt erinnerte es mehr an den Durchzug leichtfüßiger Gazellen, bis auch dieses Geräusch verstummte.
Am nächsten Morgen erwachte ich erfrischt. Auf dem Weg zum Frühstücksaal erkundigte ich mich nach einem Gast – ob Mann oder Frau, ließ ich offen – mit Namen Lea oder Leo. Die einzige, mit diesen Namen, war ich. Natürlich fragte ich auch nach dieser Clarissa, die sich vor zwei Wochen so gut im Hause Lucia erholt hatte, doch auch sie war hier unbekannt.
Der Vormittag ging schnell vorüber mit allerlei Kuranwendungen, einem kurzen Spaziergang und dem Arztgespräch, woran sich die ausgedehnte Mittagsmahlzeit und die Mittagsruhe anschlossen, die streng eingehalten werden mussten. Ich war von meinen Tischgenossinnen, einer zartgliedrigen Lehrerin, die ich für viel jünger hielt, als sie war und der Dicken, die unentwegt Schwänke aus ihrem Leben erzählte, in angeregtes Geplauder gezogen worden, so dass mein gestriges Fremdheitsgefühl schnell einer freundlich, vertrauten Stimmung wich. Gemeinsame Unternehmungen am Nachmitttag wurden verabredet, ausgedehnte Waldspaziergänge oder Ausflüge in die nähere Umgebung. An den geheimnisvollen Eintrag im Gästebuch dachte ich nicht mehr oder ich wollte nicht daran denken, bis mir am dritten oder vierten Tag plötzlich wieder meine Schulfreundin Clarissa in den Sinn kam.
An diesem Tag war ein Föhnsturm aufgekommen, nichts Ungewöhnliches für diese Grenzregion. Die Luft war mild und regnerisch, der Wind trieb die Wolken vor sich her und bog die Baumkronen der Buchen wie dünne Reiser. Bei diesem Wetter wollte mich niemand zu einem Spaziergang begleiten, also brach ich alleine auf. Auf windgeschützten Wegen war ich bis zu einer kleinen Hütte im Wald vorgedrungen, bei der ich eigentlich hätte umkehren müssen, wenn ich die Teestunde nicht verpassen wollte. Doch entdeckte ich einen Pfad, der mich tiefer und tiefer in den Wald hinein führte. Hier war vom Sausen und Brausen des Windes nichts mehr zu hören, mich umfing eine unheimliche Stille. Ich schritt auf weichem Moos zwischen vertrocknetem Heidelbeergestrüpp unter hochstämmigen Buchen immer weiter. Obwohl die Bäume noch kein Grün trugen, herrschte hier schon am frühen Nachmittag ein düsteres Dämmerlicht, das alle Konturen verschwimmen ließ.

Unvermittelt tauchten vor mir riesige Felsbrocken auf, übereinandergeschichtet wie von Riesenhand. Der größte und mächtigste ragte über einen Abgrund, einen Felsabbruch, der gut hundert Meter weit in die dunkle Tiefe stürzte. Der Föhnsturm und das Dämmerlicht bewirkten, dass sich mein Kopf wie in Watte gepackt anfühlte und meine Wahrnehmung trübte. Als ich näherkam, glaubte ich unter den Felsen eine Gruppe Mädchen zu sehen, die sich trotz des unfreundlichen Wetters zu einem Picknick niedergelassen hatte. Jetzt sah ich die einzelnen Gestalten überdeutlich, denn sie hatten sich den einzigen sonnenbeschienen Fleck ausgesucht, den es hier im Walde gab. Doch wie erstaunt war ich, als ich sie alle erkannte. Eine von ihnen rief meinen Namen: „Leo“. Es waren meine Schulfreundinnen aus der vierten Klasse. Clarissa, neben ihr Sandra, und ich entdeckte auch Zane und Susanne. Sie saßen im Kreise, tranken Limonade und fütterten sich gegenseitig mit Muffins. Dabei war ich mir sicher, dass es zu unserer Schulzeit noch gar keine Muffins gegeben hatte. Clarissa winkte aufgeregt und rief am lautesten. Wie damals hatte sie ihr blondes dickes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und hielt ein Buch in der Hand, aus dem sie den anderen offenbar etwas vorgelesen hatte. Trotz der Entfernung erkannte ich den Einband sofort – blau mit weißer Schrift und der Zeichnung eines korpulenten Herren in braunem Pelzmantel mit Zylinder, der aus seiner Westentasche eine Katze zauberte und dabei von einem Dackel beobachtet wurde. Ich kannte den Einband, das Buch stand ja in meinem Bücherregal. Die Direktorin hatte es mir überreicht, für das beste Gedicht des Schuljahres. Kurz vor der Preisverleihung in der vollbesetzten Aula hatte mir meine Klassenlehrerin etwas ins Ohr geflüstert. Sie zischte und spuckte, und ich traute mich nicht meine nasse Wange mit dem Handrücken abzuwischen. Die Lehrerin hatte ein spitzes Kinn und dünne, schmale Lippen. Dünn und schmal war auch das, was sie zu mir sagte. Ich hatte es sofort wieder vergessen, wie hätte ich sonst den Preis entgegen nehmen können. Jetzt fiel es mir wieder ein. „Leonie“, sagte sie, „eigentlich hätte Zane den Preis verdient, aber du bekommst ihn, weil gutes Betragen wichtiger ist als ein heimlich unter der Bank geschriebenes Gedicht.“

Schulter an Schulter neben Clarissa lachte Sandra mir zu. Mit ihren großen, braunen Augen, ihrem Mittelscheitel, in einem zu großen Blumenhemd, dessen hoher, steifer Kragen geschlossen war. Sandra – war sie nicht schon lange tot? Sie war bei einem Bootsunfall umgekommen. Ihre Eltern hatten mich zu dem Segelturn eingeladen, aber meine Mutter hatte mir das Vergnügen nicht gegönnt. Warum habe ich eigentlich nie ihr Grab besucht – ich wusste nicht einmal, wo es lag. Dabei war sie doch meine zweitbeste Freundin gewesen, für eine Zeitlang zumindest.
Susanne stand in der Mitte, ihr langer Zopf reichte ihr fast bis zur Hüfte. Susanne, die so gut Latein übersetzen konnte, und für ihre Schönschrift gelobt wurde. Wie viele Briefe hat sie mir geschrieben, in ihrer klaren Mädchenschrift. Auf hellblauem Schreibpapier hatte sie mir ihre Liebe gestanden, aber ich klebte sie in mein Tagebuch, das ich mit einem goldenen Schlüsselchen verschloss.
Auf einmal redeten alle auf mich ein. Jede wollte mich auf ihre Seite ziehen. Je lauter sie redeten, desto dichter wurde der Nebel, der vom Moos aufstieg und bald die ganze Gruppe einhüllte. Schließlich ragten nur noch die aufeinandergeschichteten Granitblöcke aus dem Dunst heraus. Mich fröstelte, in den Wald drang jetzt kein Sonnenstrahl mehr. Ich winkte der Gruppe zu, hörte wieherndes Gelächter, dann drehte ich mich entschlossen um und marschierte eilig zum „Hause Lucia“ zurück.
Nach diesem Erlebnis hatte ich von Waldspaziergängen erst einmal genug. Im Sanatorium ließen sie sich einiges einfallen, um uns die Zeit zu vertreiben. Entweder lagen wir mit feucht-warmen Wickeln um den Bauch im Bett, oder sie packten uns heiße Heublumensäckchen auf die Leber. Die drei Hauptmahlzeiten mussten pünktlich eingehalten werden und in den Zwischenzeiten war auch allerhand los. An zwei Nachmittagen der Woche brachten sie uns bei, einfache Gebrauchsgegenstände aus Filz herzustellen. Oder sie ließen uns die Finger in leuchtende Farben tauchen, um sie mit kreisenden, gleichförmigen Bewegungen auf einem weißen Blatt zu verteilen, bis sich der Kopf mitdrehte und vollkommen leer wurde. Meine Tageszeitung, die ich mir hatte nachschicken lassen, legte ich ungelesen auf den Salontisch.
Von Tag zu Tag fühlte ich mich schwächer. Die Abende verbrachte ich alleine auf meinem Zimmer. Das rhythmische Klatschen und Stampfen, das mich in der ersten Nacht in meinen Schlaf begleitet hatte, hörte ich immer noch, es störte mich nicht mehr. Ich hätte jemanden fragen können, auch dazu war ich zu müde. Für eine abendliche Unterhaltung mit fremden Menschen fehlte mir die Kraft. Morgens beim Frühstück versäumte ich keine Gelegenheit, die Gäste nach ihren Namen zu fragen. Ich ließ mir alle Vornamen, ja sogar die Ruf- und Spitznamen nennen, aber außer mir gab es weder eine Leo noch eine Lea. Dann wieder kamen Tage, an denen ich kaum ein Wort herausbrachte und mir nicht einmal mehr das Wort für Knäckebrot oder Butterkekse einfiel. Keine Ahnung, was ich mit Butterkeksen wollte, zum Frühstück gab es nie welche, und ich vertrug sie sowieso nicht. Ich lächelte, hielt den Mund, und niemand bemerkte meine Sprechprobleme. So konnte ich die Zeit zum Kauen nutzen, mein Appetit war gewaltig.
War es da ein Wunder, dass ich das Gedicht einfach vergaß? Zumal weder der Titel noch die ersten Zeilen zu meiner merkwürdigen Verfassung passten. „Manchmal stehen wir auf, stehen wir zur Auferstehung auf, mitten am Tage, mit unserem lebendigen Haar, mit unserer atmenden Haut.“ Ich wollte gar nicht aufstehen, war vollkommen zufrieden damit, abends meinen Melissentee zu trinken und die Beine hochzulegen. Manchmal hätte ich gerne ein bisschen gestrickt, aber wie ohne Nadeln? Ich schlief fest und traumlos. Wenn ich doch einmal aufwachte, funkelten Sterne durchs Dachfenster, und ich dachte an Zane. Bestimmt hätte sie mir weiterhelfen können. Aber ich wusste nicht, wo sie steckte, nach all den Jahren. Vielleicht war sie im Ausland, radikale Tierschützerin, Schriftstellerin oder Mutter von Drillingen, wer weiß?
Um Ostern herum machte ich dann doch noch einen Versuch. Warum ich hoffte, bei den Felsen wieder auf die Mädchen zu stoßen, wusste ich nicht, aber ich wollte Zane finden und sie auf das Gedicht ansprechen. Gleich nach der Mittagsruhe brach ich auf. Die Stämme der Buchen glänzten schwarz vor Nässe, das Laub schimmerte lila, noch nie war mir das Moos so leuchtendgrün erschienen. Der Weg war mühsam, ich wanderte alleine wie das letzte Mal. Alle Vögel schwiegen, es ging stetig bergauf, ich musste oft anhalten um zu verschnaufen. Ich spürte mein Herzschlag, hörte nur den eigenen Schritt, und den nächsten, der noch nicht gegangen war. Weiter, weiter, der Weg musste gegangen werden bis ans Ende.
Bei der Hütte schlug ich wieder den Pfad zu den Felsen ein. Nicht lange und ich sah sie vor mir liegen, düster und mächtig, wie ein aus Steinen geschichtetes Monument. Auf einem überdimensionalen Block erhob sich ein zweiter, der sich wie gegossen in die Form des Grundsteins einfügte. Auf der anderen Seite ragte, an die beiden Blöcke gelehnt, eine riesige Steinplatte auf, eine zweite parallel dazu, die einen nach oben sich verengenden Durchgang bildete. Wenn man sich in den Hohlraum zwischen die Platten stellte sah man zwischen den kahlen Winterästen den Himmel. Ein dritter, viel mächtigerer Block, der wie ein Löwenkopf aussah, überragte alle anderen. Ich lief um die Felsengruppe herum, hielt nach den Mädchen Ausschau, stand still, wartete, lauschte. Nichts. Es geschah nichts. Ich zwängte mich in die Höhle und setzte mich für einen Augenblick auf den Boden. Ich habe mich nicht abgemeldet, fuhr es mir durch den Kopf, was, wenn ich aus dieser Gruft nicht mehr herauskäme? Wenn die Steine wegen eines plötzlichen Erdbebens erzitterten und über mir zusammenstürzten? Oder mir schwindelig wurde? Keine Ahnung, warum ich mir diese Gedanken nicht gemacht hatte, bevor ich in die Höhle kroch. Beunruhigt suchte ich mein Handy, natürlich, ich hatte es auf dem Nachttisch liegen lassen. Doch selbst wenn ich es eingesteckt hätte, es hätte mir nichts genützt an diesem finsteren Ort, ohne Netz und doppelten Boden. Ich fühlte mich unsagbar schwer.
Es wurde langsam dunkel. Mein Kopf fiel mir auf die Brust, zusammengekauert saß ich da und sank, sank immer tiefer, tauchte ein wie in eine Sintflut, war gefangen in der Löwengrube. Mit einem Mal waren sie plötzlich da! Sie huschten um die Felsen, turnten frech über meinem Kopf, sprangen behände über die klaffenden Spalten und schauten in alle Ritzen: Zane und all die anderen. „Leo – Leo-nie, wo bist du?“
Starr wie eine Raupe im Winter saß ich, bis sich die Stimmen draußen verloren, und es ganz still in mir wurde. Genau in diesem Augenblick, mir stockte der Atem, sah ich, wie sich Zane aus einer engen Felsspalte befreite, heraustrat, den Kopf hob und dann auf den großen Felsen kletterte. Sie muss es geübt haben, dachte ich, ohne Ausrüstung, Seil, Helm, Schuhe, es grenzte an riesigen Leichtsinn. Erst jetzt wurde ich gewahr, dass Zane barfuß war und mich erfasste ein kalter Schrecken. Wo wollte sie hin? Dort oben ging es nicht weiter, es erwartete sie der Abgrund. Sie kletterte langsam an dem glatten Felsen nach oben, überwand sogar einen Überhang, wie hatte sie das nur geschafft, es gelang ihr alles scheinbar ohne Mühe. Zurück würde sie nicht können, da war ich mir sicher. Ich rief ihr etwas zu, sie hörte mich nicht.
Jetzt war sie ganz oben, leicht und wie unverwundbar stand sie dort, legte den Kopf in den Nacken, breitete die Arme aus. Warum schaut sie nicht zurück, dachte ich, was hat sie vor? Ich wollte sie so vieles fragen: Bleib stehen. Zane, warte auf mich! Gib mir die Hand, ich komme zu dir! Nein! Spring nicht!
Zitternd bangte ich um sie, wollte schreien, doch mein Schrei löste sich nicht. Unfähig mich zu rühren, steckte ich in meiner Höhle.
Wie lange dieser Zustand dauerte, weiß ich nicht. Irgendwann muss es mir gelungen sein, wieder aufzustehen. Aus eigener Kraft? Nein, es war mir, als ob ich ins Offene gezogen wurde, als ob Zane mich ins Offene zog, die Felsplatten schienen auseinander zu treten, als ich auf allen Vieren hindurchkroch. Langsam richtete ich mich auf, schüttelte Staub und Moos von mir ab, strich mir die Haare aus der Stirn. Jetzt erschien mir alles verändert. Die Mädchen waren verschwunden, Zane nicht mehr auf dem Felsen, die Luft hatte ihre schwüle Schwere verloren, war frisch und lebendig. Ich fühlte meinen Herzschlag, freudig und kräftig, meine Wangen röteten sich und mich durchströmte eine neue Energie.
Kaum war ich bei der Hütte, hörte ich Vögel zwitschern, und Sonnenstrahlen fielen durch die Baumkronen auf den Weg.
Im Hause Lucia war alles unverändert, die Uhren tickten weiter. Es gab keine toten Mädchen, die von Felsen sprangen und meinen Namen riefen oder mich einfach nicht beachteten.
Nach zwei Wochen hatte ich mich so gut an die Sitten und Gebräuche im Hause Lucia gewöhnt, dass ich beschloss, noch über Ostern zu bleiben.
Von da an passierte nichts Aufregendes mehr, alles ging seinen Gang und ich fühlte mich von Tag zu Tag leichter.
Vor meiner Rückkehr ein Traum: Ich säße im Zug, die Türen waren schon geschlossen, der Zug fuhr an, ich hatte meine Koffer auf dem Bahnsteig stehen lassen. Zuhause schloss ich die Haustür auf und trat in eine völlig leere Wohnung. Das Parkett glänzte, durch die großen Fenster drang helles Sonnenlicht, alle Zimmer waren lichtdurchflutet. Das Merkwürdige war, dass ich mich nicht über die ausgeräumte Behausung wunderte, im Gegenteil, ich spürte ein unerklärliches Glücksgefühl, obwohl ich nichts von meinen alten Sachen wiederfand. Ich werde mich neu einrichten, dachte ich freudig beim Erwachen. In einer neuen, geheimnisvollen Ordnung, vorweggenommen in ein Haus aus Licht.
Am nächsten Morgen packte ich. Die Tischgenossinnen begleiteten mich zu meinem Auto und sangen mir zum Abschied ein Ständchen. Wie glückliche Kindlein kamen sie mir vor, als sie in die Hände klatschen und dazu mit den Füßen stampften. Auch der Reim hatte etwas Kindliches– hinter Schultern versteckt, hab` ich Flügel entdeckt, wachsen täglich ein Stück, sind mein heimliches Glück.
Im Rückspiegel sah ich sie winken. Schnell kam ich aus dem dunklen Wald heraus. Auf den Weinbergen lag ein zartes Grün, die Wiesen leuchteten und weiter unten in der Ebene blühten die Obstbäume.
© Heide-Marie Lauterer


Dr. Heide-Marie Lauterer ist 1952 in Heidelberg geboren. Studium der Germanistik und Geschichte; Gymnasiallehrerin, Historikerin, zuletzt bei der Max-Weber-Edition an der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Nach zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen schreibt sie Romane, Geschichten und Reiterkrimis. Ihre Kurz-Geschichten sind in verschiedenen Anthologien sowie dem Band Irre Geschichten abgedruckt. Sie ist Mitglied der Mörderischen Schwestern, der Heidelberger Autorenvereinigung Litoff und dem Heidelberger Textsalon.
Zuletzt erschienen Das Bestsellerprojekt. Roman.
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Jeanne d’Arc – Mont-Saint-Michel
© Rolf Krane

Die Krone der Schöpfung

Die ersten Kriegerinnen des Lichts
kamen aus Hollywood
Sie kämpften mit Schwertern
aus Stahl und Licht
gegen die dunkle Seite der Macht
„Wer ist wie Gott?“
Sie wurden nicht gesehen

Die nächsten Kriegerinnen des Lichts
machten sich freitags auf den Weg
Sie kämpften mit klaren Worten
und scharfem Verstand
gegen die dunkle Seite der Macht
„Wie könnt ihr es wagen?“
Sie wurden nicht gehört

Unersättlich vertilgt die Menschheit
weiter den Mutterkuchen der Erde
den Kopf in der Schlinge der Nabelschnur
lässt ihr heißer Atem die Pole schmelzen
Verführt von einer fossilen Oberschicht
„Es gibt wichtigere Dinge als das Leben“
wird sie ins Verderben geschickt

Die letzten Kriegerinnen des Lichts
umgeben von einem Strahlenkranz
in Gestalt von Vater Sonne
kommen mit einer Botschaft zu uns
Sie wird noch nicht gehört
„Die Krone der Schöpfung“
Sie wird noch nicht gesehen

Die Menschheit sollte Hüter der Erde sein
doch führt sie Krieg gegen Wälder
Sie sollte Hüter der Meere sein
doch zerstört sie weiter Korallen
Die Botschaft spricht zum Lungenbaum
„Wie innen, so außen“
und wird doch nicht gehört

© Rolf Krane


Rolf Krane ist ein unabhängiger Reise-Fotograf und Autor des Buches Der Reisende Rahmen. Foto-Reportagen seiner Heilreisen veröffentlicht er auf der Website www.heil.reisen.

Foto © Michael Benz






Kesseldruck

Fliegt bald der Deckel vom Topf….? Corona hat den Alltag fest im Griff. Die Leute bleiben in ihren Wohnungen und alles ist still. Alles? Nein, nicht alles.
Nachbarn, die sich auf dem Weg zum Einkaufen im Hof begegnen, führen, Abstand haltend, zuweilen Gespräche, die überall gut zu hören sind. So erfährt man zum Beispiel, dass der REWE wieder Toilettenpapier hat, was ja nicht uninteressant ist. Die Älteren vergessen manchmal das ’social distancing‘ (warum sagen wir das eigentlich auf Englisch? Weil es sich dann freundlicher anhört?), vielleicht weil sie ihr Gegenüber sonst schlecht verstehen. Oder sehen sie die Ansteckungsgefahr nicht ganz ein? Und dass andere ihnen Vorschriften machen wollen? Ich hab doch mein Leben gelebt, sagt einer. Warum soll ich in meiner letzten Lebenszeit auf den Kontakt mit meinen Enkeln verzichten, nur damit ich nicht Corona kriege? Sterben müssen wir allemal. Das liegt in Gottes Hand.
Mit der zunehmenden Wärme des Tages kommen die Kinder heraus und beginnen auf Drei- und Zweirädern lärmend um den Block zu kurven oder mit bunten Kreiden den Asphalt zu bemalen. Der kleine Spielplatz an der Ecke ist ja geschlossen. Mit regelmäßigen Abständen rufen sie: Mama, Mama, oder Papa, Papa, die vermutlich genervt im Homeoffice sitzen.
Doch es gibt nicht nur Homoffice-Arbeiter, manche sind dank geöffneter Baumärkte auch eifrige Heimwerker. Ein Chor von Schleifmaschinen, Druckluftspülern, Motorsägen, Laubbläsern, Heckenschneidern, Rasenmähern und anderen geräusch-starken Geräten, deren Zweck und Aufgabe  außer Krach zu machen mir Nicht-Heimwerkerin verschlossen sind, ertönt zuweilen. Zusätzlich zum normalen Baulärm, versteht sich, denn die Bauarbeiter sind nicht zuhause geblieben. Selbst am Karfreitag ist eine Kreissäge um die Mittagszeit deutlich vernehmbar. Vermutlich ein Katholik, der den höchsten Feiertag der Evangelischen missachtet, das hat Tradition.
Am Spätnachmittag schleichen zwei 14-jährige hinterm Haus umher, wo sie sich wohl unbeobachtet glauben (haha, was hab ich anders zu tun, als aus dem Fenster zu schauen?). Sie stecken sich weltmännisch Zigaretten an, gehen rauchend auf und ab und sinnen auf Streiche.
Die Wohngemeinschaft von gegenüber scheint verreist, wohl doch zu den Eltern gefahren. Die Nachbarn mit dem Garten unter mir bekommen dagegen Besuch von Kindern und Enkeln. Man sitzt vorschriftsmäßig getrennt an zwei Kaffeetischen!

Abends ist es erstaunlich ruhig, bis auf das Kirchenläuten.
Selbst der Samstagabend, in ’normalen‘ Zeiten der Tag munterer Feten, verläuft erholsam geräuschfrei.
Am Ostersonntag zieht es die Leute wie immer ins Grüne, ausnahmsweise ruhen die Heimarbeiten. Doch in der Dämmerung erschallt plötzlich Musik vom Parterre gegenüber. Im Lichte von Kerzen und Lampions sieht man auf der Loggia tanzende Menschen, die ihre ringsum etwas konsterniert auf sie herunterblickenden Nachbarn unter lauten Rufen zum Mittanzen einladen. Tatsächlich versammeln sich einige Figuren auf dem Rasen davor und bewegen sich im Takt der durch alle Hausmauern dringenden Bässe, führen dabei fröhliche Unterhaltungen oder singen die Melodie mit. Mit einem Mal erleuchten sogar, auf Stöcken zwischen Büschen angebunden, zwei Fackeln unheimlich die Szenerie. Eine Corona-Party…
Kennt man ausgelassene Feste nicht aus den Zeiten der Pest? Und dann wurden die Leute von der Krankheit hinweg gerafft, weil sich unter den Feiernden der Tod befunden hatte…
Der Lärm, der um die Häuser schallt, verstärkt vom Widerhall der steinernen Wände, scheint die Bewohner einiger Nachbarhäuser zum geräuschvollen Nachahmen zu verlocken. Wohnungen, in denen es bisher immer unauffällig und still zuging, zeigen sich hell erleuchtet, auf Balkonen werden Kerzen angezündet, Gläser klingen, Korken knallen, auch hier werden nun Lautsprecher aufgedreht mit mehr oder weniger attraktiven Klängen. Aus der Dunkelheit der Hintergärten schallt irgendwo in regelmäßigen Abständen heraus: Ja, Ja, Jaaa! Wird da irgendein Sportereignis in einer Gartenhütte verfolgt? Ebenso sind auf einmal von den Balkonen der Hochhäuser gegenüber lautstarke Unterhaltungen und Musik vernehmbar.
Es ist, als wollten alle schreien: Ich hab das Eingesperrtsein saaaatt!!! Macht sich da ein Druck Luft, der irgendwann auch einmal explodieren könnte? Wie lange zeigen die Leute noch Geduld, wenn sie ihre Freunde, Freundinnen und Angehörigen nicht mehr normal treffen können,  nicht mehr ins Kino, Theater, Café oder Restaurant, sogar nicht einmal mehr zum Gottesdienst gehen zu dürfen? (Wobei man sich fragt: Wann herrschte dort je Gedränge mit Ansteckungsgefahr?)
Doch siehe da, als sich die Uhr zehn Uhr nähert, ist der Spuk vorbei, alles wieder still. Als wäre nie etwas gewesen.
© Wiebke Hartmann


Wiebke Hartmann geboren in Heidelberg, Studium der Ethnologie, Soziologie und Religionswissenschaft in Berlin. Lehrbeauftragte und Volkshochschuldozentin, Mitarbeiterin beim STERN, journalistische Arbeiten und zwei Reportagen für STERN-BUCH. Weiterbildung in Familientherapie. Systemische Familientherapeutin in Norwegen. Dort Publikation von journalistischen Arbeiten und Fachartikeln. Heute lebt sie teilweise in Schweden und in Heidelberg, sie publiziert weiterhin journalistisch, veröffentlicht literarische Arbeiten und ist Autorin eines Fachbuchs zum Thema Migration (Der Reisende ohne Schatten). Mitglied der Heidelberger LitOff seit 2015.

Besuchen Sie die Homepage der Autorin und lesen Sie ein Gedicht der Autorin aus der Reihe Poesie unterwegs von der UNESCO City of Literature Heidelberg.








Unstet blickt mich das Telefon an
Abgewandt spüre ich seine Augen
Verzeihe mein Verschnaufen
Dass ich nicht mitmachen kann

Laute Gedanken durchbrechen die Stille
Keine Zeit für Ruhe
Zuviele Schätze in der Truhe
Kraftlos scheint die Kamille

Fassungslos ob all der Möglichkeiten
Verschließe ich meine Hände
Starre Augen Richtung Wände
Eigensinn soll sich ausbreiten

Verständnisvolles Schweigen
Mit tosendem Gebrüll
Türmt sich hier und da der Müll
Die Welt kann sich nicht leiden

© Teresa Kaya


Dr. phil. Teresa A. K. Kaya
Jahrgang 1984, promovierte nach einem Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Gender Studies und Amerikanistik in Diakoniewissenschaft an der Universität Heidelberg, wo sie bis 2018 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete. Seit 2018 ist sie u.a. als Freie Autorin tätig mit Veröffentlichungen von (wissenschaftlichen) Artikeln und Büchern über Lyrik bis zu Blog-Beiträgen. Voraussichtlich Ende 2020 erscheint ihr aktuelles Werk im Goldblatt Verlag.

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Foto © Christoph Bastert








Die Hamster-Wette

Bei den Franzosen gehen Kondome und Rotwein aus, bei uns das Klopapier. Ob fake news oder nicht, passt diese Meldung doch irgendwie zur divergierenden Mentalität zwischen deutschem Ordnungs- und Reinlichkeitssinn und dem französischen Savoir Vivre, über das wir zwar reden, aber nicht verstehen oder nicht umsetzen können, gerade weil wir Deutsche sind.
Meine Frau und ich lachen nur darüber, gerade weil wir frankophil sind und Frankreich – hauptsächlich die liebliche Provence –, in beinahe jedem Jahr mehrwöchig bereisen. Hoffentlich auch in diesem Jahr!
Spaß beiseite: In Zeiten des Corona-Virus tritt das urzeitliche Sammler- und Jäger-Gen des Homo sapiens sapiens (gleich zweimal weise) ebenfalls pandemisch wieder in erschreckend-kolossalem Ausmaß in Erscheinung.
Nicht nur der Sammler und Jäger – auch der Rüpel, Kämpfer, Schläger, Egoist stülpt sich aus der teils fein situierten äußeren Schale wie der böse Geist aus der Flasche. Vom Kampf ums Überleben aktivierte niedere Instinkte schaffen sich wieder Bahn. Wieso Kampf ums Überleben? Der gilt doch nur gegenüber dem Virus, aber nicht dem Verhungern! In unserer Republik verhungert niemand. Und Toilettenpapier aus Zellulose (die unser Körper sowieso nicht verdauen kann) will doch niemand essen.
An den Kassen und den Regalen der Discounter und Warenhäuser wird dem Hamster-Wahn Einhalt forderndes Personal angepöbelt, Schläge werden angedroht – sogar gegenüber Frauen. Und erst die Ausreden: Auf einmal haben wir es nicht mehr mit zunehmenden Single-Haushalten, Alleinerziehenden oder Kleinfamilien zu tun – Deutschland scheint nur noch aus Clans oder Großfamilien zu bestehen.
„Wie viel Klopapier haben wir eigentlich?“, erfolgt die zaghafte Anfrage meiner Frau. „Unten zwei Packungen à acht Rollen, dazu vier lose, macht zwanzig; und oben nochmals zwei Packungen. Ergibt knapp vierzig Rollen, Schnucki. Eine Rolle reicht, konservativ geschätzt, für drei Tage. Siebenunddreißig mal drei ergeben 111 Tage, also knapp vier Monate. In vier Monaten brütest du schon über der Urlaubs-Packliste für die Grande Nation. Na ja, wenn wir ein- beziehungsweise ausreisen dürfen. Aber das wird schon, glaub‘ mir. In vier Monaten kann viel passieren.“
Ha, da kommt er wieder zum Vorschein, der Controller. Der lässt sich auch im Ruhestand nicht herunterfahren, der ist intrinsisch.
Meine liebe Frau scheint irgendwie nicht überzeugt. Ich registriere eine kleine Sorgenfalte auf ihrer Stirn.
„Ich weiß nicht so recht. Meinst du wirklich drei Tage für eine Rolle?“
„Ach klar! Ich werde den Zeitraum bei der nächsten neuen Rolle unten messen. Dann wissen wir es genau.“ „Aber oben haben wir zweilagiges Papier – das verbraucht sich schneller.“
„Dein Sonderwunsch, mein Schatz!“
Zur Information: Unten bedeutet Gästetoilette. Dort lagert dreilagiges Toilettenpapier. Oben meint die Toilette im Bad mit zweilagigem Papier. Meine Frau bevorzugt das zweilagige im Bad, ich für meinen Teil das robustere in der Gästetoilette. Beide Arten bestehen natürlich aus Recyclingpapier! Eine zusätzliche Sorgenfalte zuckt kurz auf ihrer Stirn. „Eines der Symptome kann auch flotter Stuhl sein.“ Ich nehme sie in die Arme: „Ach Schatz, nun mal‘ nicht den Teufel an die Wand. Die Rollen reichen auf jeden Fall für drei Monate. Drei Monate! Stell dir diesen Zeitraum vor.“
Sie reagiert verhalten. Es wird Zeit für meinen bewährten Einsatz von „Psychologischer Kriegsführung“, wie ich dies gerne bezeichne. Hierin bin ich ein Meister, da könnte mir sogar Hannibal das Wasser nicht reichen.
„Du willst uns doch nicht etwa mit dieser tumben Masse, diesen hirnlosen, geifernden, sinnlos hamsternden Individuen gleichsetzen?“ Das wirkt.
„Nein, natürlich nicht! Aber du könntest doch unseren Einkauf im Bioladen um zwei Tage vorziehen. Gehe doch noch heute Nachmittag einkaufen.“, meint sie süßsauer lächelnd.
„Nein, das tue ich nicht, bei aller Liebe. Du kennst mich doch, da lasse ich mich nicht – auch nicht von dir – unter Druck setzen. Du weißt genau, dass das gegen meine Prinzipien verstößt; da bin ich eigen.“
„Ja, leider. In dieser Hinsicht kannst du wirklich stur sein.“
„Schau mal“, entgegne ich beschwichtigend, „unser großer Gefrierschrank ist wie immer gut gefüllt, wir haben einige Packungen Nudeln im Lebensmittelkeller, unser Reiskontingent reicht für einige Tage, ich habe noch schnell einen 5 kg-Sack Kartoffeln im Bauernladen gekauft. Unser Getreidevorrat reicht für – lass‘ mich es kurz überschlagen: zwei, vier, fünf Kilo – mindestens sieben mal dreizehn gleich 91 Brötchen. Dosenwurst haben wir auch noch sowie veganen Brotaufstrich. Marmelade ohne Ende nicht mitgerechnet. Wir sind autark! Und außerdem: Wenn es hart auf hart kommen sollte: es gibt doch Lieferdienste, Nachbarschaftshilfe, unser Freund Rene wäre einsatzfähig.“

„Du hast ja recht“, kommt es etwas beruhigter von ihr, „im Bioladen kauft auch eine andere Klientel. Die Leute dort sind nicht emotionsgeladen, unverschämt, massenhysterisch, verantwortungslos egoistisch.“
„Siehst du! Am Samstagmorgen radele ich wie immer zum Bioladen und schaue auch nach Klopapier. Ich wette, dass deren Regale nicht aus gähnender Leere bestehen.“
„Ja, du wirst wohl Recht haben – ich hoffe es zumindest.“
„Natürlich!“ Ein überzeugter Ausruf. So restlos überzeugt bin ich aber nicht – das behalte ich jedoch lieber für mich.
Als ich am Samstag vom Einkauf zurückkomme und mein Rad in den Flur schiebe, hallt es schon von oben: „Na, warst du erfolgreich?“ Die Treppe vibriert unter schnellen Schritten.
Ich sehe wohl ein wenig entgeistert aus. „Von wegen andere Klientel! Die sind genauso hemmungslos wie die allgemeine Masse. Alles leergeräumt! Ob Hülsenfrüchte, Reis, Dosen-Tomaten – alles weg. Getreide zum Brotbacken gibt es nicht mehr. Außer Dinkel, da habe ich noch ein Kilo ergattert. Und das Klopapier – haha, war doch klar, dass das Regal leer ist. Das ist auch viel zu klein. Da passen nur wenige Packungen rein. Das werde ich der Filialleiterin bei nächster Gelegenheit mal süffisant stecken. Wir lassen uns dennoch nicht aus der Ruhe bringen. Nächste Woche radle ich halt mal am Mittwoch dorthin.“ Aus ihren Blicken lese ich eine gewisse, aber durchaus als zaghaft zu bezeichnende Übereinstimmung.
Mittwoch – wie gehabt.
Samstag – dito.
Montag – dasselbe.
Mittwoch – keine Änderung.
Freitag: Die Miene meiner Frau bereitet mir ebensolche Sorgen, wie sie sie wohl selbst verspürt. Der allgemeine Corona-Krisen-Diskussionsstoff im Hause Drokur dreht sich mittlerweile weniger um mögliches Verhungern, sondern eher um mögliche Wasserspülung, um zweckentfremdete Tücher, Waschlappen – und beim Controller um explosionsartig steigende Stromverbräuche aufgrund turbomäßig erhöhter Waschmaschinenläufe.
Das geht so nicht weiter. Psychische Auflockerung (mal wieder unter Zuhilfe-nahme der Psychologischen Kriegsführung) gegen ein drohendes Depressions-Damoklesschwert über dem Haupte meiner lieben Frau.
Bevor Rita zur Erledigung diverser beruflicher Angelegenheiten in die City aufbricht – natürlich etliche Klopapier-Einkaufsmöglichkeiten inbegriffen –, schlagen unsere Hände auf meine Initiative hin zu einer Rotweinkassen-Wette mal wieder kräftig ein. Thema: wir werden – werden wir? – heute Klopapier erhaschen. Zur Entwölkung der Klopapier-getrübten Aussichten stehe ich wie ein Fels in der Brandung für das Ja, Rita natürlich dagegen.
Ist Rita nicht erfolgreich (wovon ich ausgehe – ausgehen muss; ich will doch die Wette gewinnen), wird mein Einsatz erfolgen. Und wenn ich zu ALDI muss! Als allerletzter Notanker, da wir Discounter jedweder Couleur aufgrund derer den Lebensmittelerzeugern gegenüber unverschämter Preispolitik grundsätzlich meiden. Corona verlangt halt auch in dieser Hinsicht seine notwendigen Opfer.
Rita kommt niedergeschlagen zurück. Die Wieblinger Post-Filiale hat ihre vormittäglichen Öffnungszeiten wegen dieses vermaledeiten Virus‘ kurzfristig gecancelt, weswegen sie zum REWE auch noch ihre schweren Pakete mitschleppen musste.
Die Wette ist somit zur Hälfte von mir gewonnen (diesen Gedankengang bitte nicht logisch bewerten). Ich radle also nachmittags zur Post. Nun schließe ich den NETTO noch mit ein, kämpfe die Strecke gegen abartigen Wind – um mit leeren Händen herauszukommen. Ein Saftladen, dieser NETTO – eigentlich wie alle Discounter.
Nichtsdestotrotz: ALDI – meine letzte Chance! Ich bündele meine hellseherischen Fähigkeiten und beame sie zu ALDI. Toilettenpapier – ja, selbstverständlich vorhanden! Ich betrete den Discounter, und gleich am Anfang fällt mein konzentrierter Blick auf die beiden Toilettenpapier-Paletten.
Rita hüpft bereits die Treppen herunter, als ich mein Rad in den Flur schiebe.
„Na?“ Und gleich: „Das gibt’s doch nicht!“
„Doch!!“ Triumphierend halte ich ihr die Toilettenpapier-Packung entgegen. „Sogar mit zehn anstatt acht Rollen, haha!“
„Du bist ein Tausendsassa!“
Es ist auch das erste Mal, dass meine liebe Frau – ohne mehrmaliges Erinnern meinerseits – die fünf Euro gerne in die Rotweinkasse legt.

© Gerhard Drokur


Gerhard Drokur
1953 in Heusweiler/Saarland geboren, Dipl.-Betriebswirt, in verschiedenen Branchen hauptsächlich als Controller tätig. Als begeisterter Rennradler schrieb er drei Rennrad-Reiseführer. 2015 veröffentlichte Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe, seinen Debüt-Krimi „Letzte Etappe Mont Ventoux“. 2016 erschien der Nachfolge-Krimi Drachen über Heidelberg im Draupadi Verlag, in welchem 2019 auch der Reisebericht Reiseerlebnisse in Französisch-Polynesien mit Sachteil und Kurzgeschichten veröffentlicht wurde. Er lebt mit seiner Frau Rita in Heidelberg.






Optimismus,
keine Frage,
ist angesagt ja
dieser Tage,
denn er stimmt uns
schon mal heiter,
mit klarem Kopf
sieht man dann weiter!

Den Rettungskräften
sei gedankt,
die keine Sekunde lang
geschwankt,
ohne Zögern helfen
und retten,
im Freien und
an Krankenbetten!

In jeder Krise
auch eine Chance sehen –
so wird’s der Menschheit
wohl noch oft ergehen:
Corona-Krise, Klimawandel –
wichtig, dass man gemeinsam
handel!








© Rebecca Netzel


Rebecca Netzel, geb. 1963, Sprachwissenschaftlerin und Autorin (zahlreiche Romane, Fachpublikationen). Zentrale Themen sind ihr „Mensch und Natur, Umweltschutz“ sowie Metaphorik und Indianistik (in eine Lakota/Sioux-Familie adoptiert). Lesungen und Events, u.a. bereits mehrfach als Akteurin im Rahmen der Vita Magica (Heidelberg), DAI Heidelberg, auf der Frankfurter und Leipziger Buchmesse sowie im Ausland (Hemingway Foundation of Oak Park, Chicago); div. Interviews in Printmedien und Hörfunk (SWR Contra, HR,  SWR2) und Fernsehen. Mitglied im Heidelberger Textsalon. Auszeichnung: Das Goldene Vita Magica-Herz (verliehen vom Vita-Magica-Veranstalter Wolfgang Hampel).






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